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Dieser »Mammismus« steht an der Wurzel vieler nationaler Übel - vom Op-
portunismus bis zum laxen Umgang mit der Sauberkeit auf den Straßen und in
den Parks. Zu Hause ist es nämlich picobello sauber. Mamma und die Familie
stünden, wie manche Soziologen meinen, der Zivilgesellschat geradezu feindlich
gegenüber. Und bedeutet nicht auch die extreme Dichte von Mobiltelefonen in
Italien, dass man gleichsam über eine elektronische Nabelschnur mit der Familie
verbunden bleiben will? »Pronto, mamma, buta la pasta, sto venendo!« - »Mama,
setz die Spagheti auf, ich komme jetzt nach Hause.«
Das Gegenbild liefern diejenigen Jugendlichen, die sich äußerst beweglich zei-
gen, in einer anderen Stadt oder auch im Ausland studieren und dort Arbeit
suchen. Rund sieben Prozent der Jungakademiker wandern so jährlich ab. Und es
sind meistens die besten Arbeitskräte, die Italien verliert. Über die fuga dei
cervelli , die »Flucht der Intelligenz« beklagen sich die Medien ebenso gerne, wie
sie die bamboccioni in Schutz nehmen. Meine Tochter Gianna hat an der
Mailänder Universität Bocconi drei Jahre Finanzwirtschat studiert und ihren
Master dann in Kopenhagen gemacht. Anschließend hat sie dort ein paar Jahre
gearbeitet. Aber dann hat es sie doch nach Italien und Mailand zurückverschla-
gen, wo ihr Dank der Auslandserfahrungen ein interessanter Job bei einem inter-
nationalen Kosmetikkonzern angeboten wurde. Und eine eigene kleine und
bezahlbare Wohnung konnte sie mit etwas Glück auch inden.
Meine jüngere Tochter Mara will an ihr dreijähriges Psychologiestudium jetzt
noch ein Sprachstudium anhängen, um vielleicht einmal Lehrerin zu werden.
Aber ihre ganze Liebe gehört dem heater. Nach Abendkursen auf einer heater-
schule hat sie mit Freunden eine kleine Schauspielgruppe gegründet. Sie in-
teressiert es (im Augenblick) nicht, Erfahrungen im Ausland zu sammeln, auch
wenn die Berufsaussichten für sie hier nicht gerade rosig sind. So kenne ich die
unterschiedlichen Seiten der italienischen Verhältnisse aus nächster Nähe.
heoretisch stehen Frauen alle Berufskarrieren ofen, in der Politik sind sie je-
doch deutlich unterrepräsentiert. Die Männer wiederum, die in den vergangenen
Jahrzehnten politische Verantwortung trugen und nicht müde wurden, die Werte
der Familie in Sonntagsreden hochzuhalten, haben sich wenig um konkrete Fami-
lienpolitik gekümmert. Es gibt kaum ein anderes europäisches Land, in dem Fam-
ilie und Kinder einen so hohen emotionalen Stellenwert einnehmen und es
gleichzeitig so sehr an öfentlichen Einrichtungen wie Spielplätzen, Kindergärten,
Kinder- und Wohngeld, Familienberatung mangelt (mit Ausnahme etwa der Re-
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