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Die Schatenseite der sozialen Emanzipation zeigt sich in der Doppelbelastung
durch Beruf und Hausarbeit. 2010 haben die Frauen, die in einem Arbeitsverhält-
nis standen, mindestens täglich 9,5 Stunden (gegenüber 8,25 ihrer Männer)
gearbeitet. Das kann man sogar am Strand sehen, wenn sich die Familie unter
dem ombrellone , dem Sonnenschirm, breitmacht. Im Schaten sitzt da die Nonna
im schwarzen Unterkleid, die Frau muss sich ihre guten Ratschläge anhören, um
die Kinder kümmern, Kummertränen abwischen, den Nudelsalat vorbereiten und
verteilen, den Platz gegen zudringliche Nachbarn verteidigen, aufräumen, die
Kinder, die inzwischen baden waren, abtrocknen - während der Mann rauchend
Radio hört, über seine Sonnenbrille schönen Beinen und Busen nachschielt, Zei-
tung liest oder sich in die Strandbar verdrückt. Er hat schließlich Urlaub und will
nicht so enden wie sein Kollege aus dem Zugabteil vom Kapitelanfang.
So ruht auch auf den Schultern der modernen Mamma nach wie vor die größte
Last. Die Kinder sind zwar weniger geworden, dafür bleiben sie jedoch viel
länger zu Hause wohnen. Meine Freundin Claudia lernte mal einen sehr atrakt-
iven jungen Mann kennen, der bereits erfolgreich im Berufsleben stand und sich
in der Öfentlichkeit mit der Sicherheit eines Filmhelden bewegte. Doch der Held
lebte zu Hause im Kinderzimmer von einst, und Mamma brachte ihm jeden Mor-
gen ein Glas frisch gepressten Orangensat ans Bet. Die Beziehung zu Claudia
hielt nicht lang.
Die Italiener sind demnach ein Volk von Mutersöhnchen ( bamboccioni ):
35 Prozent der Nichtverheirateten zwischen 25 und 34 Jahren leben heute bei der
Mamma (1993 waren es »nur« 25 Prozent). Dafür gibt es viele Gründe. Die Jun-
gen (die manchmal schon graue Schläfen haben) müssen sich nicht mehr vom
Vater emanzipieren, dessen Rolle als Patriarch verblasst ist. Außerdem bietet der
Wohnungsmarkt (rund 69 Prozent der Familien leben in Eigentumswohnungen)
wenig preisgünstige Alternativen. Viele haben auch kein festes Einkommen. Aber
entscheidend ist: Es ist so unwiderstehlich bequem. Mamma sorgt für gutes
Essen, frische Wäsche, ein geputztes Zimmer und aubauenden Zuspruch. Als im
Winter 2011/2012 die Regierung diese mangelnde Flexibilität der Söhne beklagte
(die auch bedeutet, keinen Arbeitsplatz anzunehmen, der von der elterlichen
Wohnung aus nicht leicht zu erreichen ist), ging ein Sturm der Entrüstung durch
die Medien. Die Regierung, so ein Teil der Presse, sollte lieber dafür sorgen,
Arbeitsplätze zu schafen und genügend Wohnraum bereitzustellen, stat über
»unsere Kinder« herzuziehen.
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