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Mamma Mia
Die Familie zwischen Tradition und Moderne
Der Großraumwagen war gut besetzt: Einzelpersonen, hier und da ein Pärchen,
einige Geschätsreisende, ein paar stille japanische und ein paar laute amerikanis-
che Touristen. Neben mir, auf der anderen Seite des Ganges, waren gerade vier
Plätze frei geworden, die sogleich von einer Familie besetzt wurden: Vater, Muter,
Sohn und Tochter. Er kümmerte sich ums Gepäck, für das in modernen Zügen
kaum noch Platz ist, Mamma kümmerte sich um die Kinder, half beim Ausziehen,
und als Streit um die Fensterplätze ausbrach, stitete sie Frieden, indem sie die
Plätze barsch zuteilte.
Der Mann saß auf seinem Gangplatz (»so kommst du schneller an unsere
Sachen«) und schlug eine Sportzeitung auf. Doch die Frau wollte erst noch die
Tasche mit dem Essen. Also musste das Gepäck umgekramt werden, während die
Kinder maulten, sie häten Hunger. Mamma mahnte zur Ruhe, verteilte die ersten
Brote, papà saß wieder und schlug die Zeitung auf. Doch wo waren die Getränke?
In einer anderen Tasche. Also wieder aufstehen und im Gepäck suchen. »Kann ich
jetzt endlich in Ruhe lesen?«, fragte er bereits etwas ungehalten. »Nein«, sagte sie,
»mach mir erst mal die Mineralwasserlasche auf.« So ging es noch eine ganze
Weile: halt mal, mach mal, sag mal…
Wer je behauptet hat, Italien sei eine Männergesellschat, der kennt die italienis-
che Familie nicht. Hier gibt Mamma den Ton an. Und kennen wir das nicht auch
aus vielen Büchern und Filmen? Vielköpig wurde da meist la famiglia bes-
chrieben, vielsagend war die Warnung, die man den blonden Jünglingen mit auf
den Weg gab, die den äußersten Süden Italiens erkunden wollten: Ein sizilian-
isches Mädchen hat zwei wunderschöne dunkle Augen - jedoch mindestens dop-
pelt so viele Brüder! Und immer und überall stand im Zentrum die Mamma.
Mamma, eine vollbusige kleine Frau, sorgte für das Essen (meistens in Form von
riesigen Schüsseln voll dampfender Pasta, über die sie mit krätigem Armschwung
den geriebenen Käse streute wie der Bauer das Saatgut auf dem Feld). Und
Mamma kümmerte sich ebenfalls um das seelische Wohl aller, sogar um das ihres
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