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Ach, der Süden! Die Sehnsucht der Deutschen nach südlichen Geilden ist -
der Griechen Bankrot hin und der Italiener Schuldenberg her - ungebrochen.
Roberta Canu, die Leiterin des kleinen, aber quicklebendigen Goethe-Instituts
Genua, bewegte sich also in sicheren Bahnen, als sie zusammen mit dem Kom-
ponisten und Musikwissenschatler Roberto Doati ein literarisch-akustisches Pro-
jekt ins Leben rief: »Der Klang des Südens«. Drei Hafenstädte - neben Genua
wurden noch Barcelona und Lissabon hinzugewonnen - sollten Ziel und zugleich
Ausgangspunkt einer imaginären Reise sein. Zu der lieferten junge deutsche
Schritstellerinnen die jeweiligen Skizzen: Judith Kuckart für Barcelona, Juli Zeh
für Lissabon und eben Nora Gomringer für Genua.
Doch die Autorinnen haben die Städte gar nicht besucht, über die sie
schrieben. Grundlage ihrer Texte waren jeweils »Klanglandschaten«, die junge
Komponisten oder Studenten an den Musikhochschulen der drei Städte zusam-
menstellten und nach Deutschland schickten: Geräusche vom Meer und aus dem
Hafen, Sprachfetzen im ligurischen Dialekt, das Klappern der Seilbahn, Arbeitsat-
mosphären bei Handwerkern. Frei nach dem Satz von Filippo Tommaso Mari-
neti, Radio sei Imagination ohne Drähte. Die Texte, die auf dieser Basis
entstanden sind, wurden dann in die jeweiligen Landessprachen übersetzt und
von den Komponisten der Klanglandschaten in Barcelona, Lissabon und Genua
als Hörspiele produziert. Die Klänge und Musik haben dabei die Worte der
Autorinnen nicht nur untermalt. Sie sind vielmehr mit ihnen als gleichwertiges
Material in einer Art »Chimäre« zusammengekommen, wie Roberto Doati mir
erklärte, der am Konservatorium Niccolò Paganini von Genua elektronische
Musik unterrichtet. Eine Chimäre aus Worten von jemandem, der im Norden
lebt, und aus Tönen, die aus dem Süden stammen.
Im prächtigen Park der Villa Croce, wo auch das Museum für Gegen-
wartskunst seinen Sitz hat, wurden drei »Klangwege« angelegt. Lautsprecher
standen unter den Bäumen, und die drei Hörspiele mischten sich so mit den
realen Geräuschen der Stadt. Dann, Anfang November 2011, wollten sintlut-
artige Wolkengüsse tagelang kein Ende nehmen, die Bäche Fereggiano und
Bisagno, die sonst fast unbemerkt Genua durchqueren, wurden zu reißenden
Flüssen. Wassermassen überspülten Teile der Stadt und rissen Autos und
Menschen mit sich. Sechs Personen starben an diesen Unglückstagen. Wer sich
Nora Gomringers Stück kurz nach den Überschwemmungen anhörte, erschrak
fast, wie die Autorin über die Stadt redet, die da am Meer liegt, »wie das
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