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demokratischen und auch an kommerziellen Funktionen - die großen Märkte
sind ot in die Einkaufszentren der Vorstädte abgewandert - hat die Piazza zu
einem Symbol ihrer selbst werden lassen.
Die Entvölkerung der Innenstädte, ausgelöst durch hohe Grundstückspreise,
verwandelt nicht nur in Italien die historischen Zentren der Städte in Museen
oder in Schaufensterfolgen internationaler Boutiquenketen. Manche Plätze, wie
die Piazza San Marco in Venedig oder die Piazza dei Miracoli in Pisa, drohen
lediglich noch als urbane Hülle für Reiseveranstalter zu dienen. Überhaupt, so
hört man Kassandra aus allen Medien rufen, erzeuge der Anpassungsdruck an
den Tourismus Risse im historisch-kulturellen Netz, das dieses Land wie kein
zweites überzieht. Das Überraschende an Italien ist immer, dass die Gesellschat
Eigenkräte entwickelt, die das Netz wieder licken. So zum Beispiel auf der herr-
lichen mitelalterlichen Piazza del Campo, die sich muschelgleich in eine Senke
der auf Hügeln errichteten Stadt Siena schmiegt. Deren Bewohner haben sich
sowieso das Recht auf »ihren« Platz, auf dem zweimal im Jahr das berühmte
Rennen um den Palio ausgetragen wird, nie ganz nehmen lassen. Und außerdem
hat die historische Anlage eine neue Funktion gewonnen: aus dem campo ist
auch ein Campus der nahen Universität geworden.
Genua und der Klang des Südens
Können Städte klingen? Henny schreibt Briefe an Henry. Henny lebt mit einem
Schreibstipendium in Genua. Henry, der ihr postwendend antwortet oder eine
SMS schickt, wohnt in New York, wo er für eine wissenschatliche Einrichtung an
einem Aufsatz über Genua arbeitet. Beide erzählen von Genua, träumen von
Genua, machen die Stadt auch im Chat via Skype erlebbar. Das ist die Grundkon-
stellation einer Hörspielskizze von Nora Gomringer: »Ich ahne also mit all mein-
en Sinnen den Hafen. Und die hässlichen Tauben vor meinem Fenster sind riesig
und gar keine Tauben, sondern Möwen. Aber genauso schrecklich.« Romantik
kommt nicht auf, wenn eine Vertreterin des deutschen Poetry Slam wie Nora
Gomringer aus Bamberg sich in die Stadtlandschat von Genua einfühlt. Und
dennoch ist Sehnsucht im Text. Manchmal liegt sie wie ein schlechtes Gewissen
unter dieser Zweierbeziehung zwischen New York und Genua. Dann bricht sie
sich plötzlich Bahn in einem Satz: »In der Sehnsucht zu leben ist das einzige
Leben für einen, der schreibt.« Henny liebt Henry, und beide lieben sie den
Süden.
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