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vorbeizubewegen - hier wird gedrängelt, da grölt eine Schulklasse -, das macht
keinen Spaß und verwandelt das Museum in eine Art kulturellen Supermarkt.
Marie Luise Kaschnitz erzählt in einer ihrer römischen Geschichten von einer
älteren Dame, die zusammen mit einer Reisegruppe in die Vatikanischen Museen
kommt. Man schleust sie wie viele andere tausend Besucher durch sämtliche Säle.
Am Schluss bricht die Frau in Tränen aus, weil sie glaubt, man habe ihr die Six-
tinische Kapelle vorenthalten. Als man ihr erklärt, dass sie sehr wohl in der Six-
tina gewesen sei, weint sie umso hetiger.
Dennoch: Reisende, die Italien lange nicht besucht haben, kommen aus dem
Staunen nicht heraus: Historische Gebäude und ihre heruntergekommenen Fas-
saden sind restauriert, staatliche Museen, die lange geschlossen haten, sind
wieder zugänglich, die Öfnungszeiten sind verlängert (bei freiem Eintrit unter
18 und über 65 Jahren), Servicedienste (Buchläden, Bars etc.) wurden ein-
gerichtet. Die Besucherzahlen der staatlichen Museen haben sich in den vergan-
genen fünf Jahren von 24 Millionen auf jährlich über 30 Millionen erhöht. Rund
3500 Museen gibt es im Land, und das kann manchmal zu Familienkonlikten
führen. »Musst du schon wieder in ein Museum rennen, kannst du dir nicht ein-
fach die Stadt angucken, durch die Straßen bummeln? Und überhaupt, wie wäre
es mal mit einer richtigen Wanderung?«
Der tomatenrote Motorroller
Früher haten die Museen ausgerechnet an Ferientagen wie dem ferragosto
geschlossen, an dem die Menschen Zeit haben, sie zu besichtigen. Ferragosto , das
ist der 15. August, der in katholischen Ländern als Mariä Himmelfahrt begangen
wird. Viele christliche Feiertage haben antike Bräuche und Feste gleichsam beset-
zt. So auch den ferragosto , der auf die Feriae Augusti zurückgeht (die in der
Antike allerdings am 1. August gefeiert wurden). Wer als Italiener sonst nie Ur-
laub macht, hat wenigstens an diesem Tag frei.
Die Woche um ferragosto bedeutet verlassene Städte und überlaufene Feri-
enquartiere, wo dann das Leben tobt. Einige - und ich schließe mich gerne an -
bleiben jedoch trotz der schwülen Hitze zu Hause. Die Stadt ist wunderbar ruhig,
durch die Straßen fahren nur wenige Autos, Mailand atmet gleichsam ein, zwei
Wochen lang durch. In den Parks begegnet man den wenigen Daheimgeblieben-
en, das sind meist Ältere oder Ausländer. Viele Restaurants und Geschäte haben
geschlossen. In der Innenstadt sieht man verstörte Touristen, die gar nicht begre-
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