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der Hinterbliebenen der Opfer veranstaltet jedes Jahr am 2. August ein jeweils
von vielen Menschen besuchtes Erinnerungstrefen am Bahnhof.
Doch wird hier an kein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte erinnert. Im
Wartesaal der zweiten Klasse haten die Täter vor über dreißig Jahren eine Ak-
tentasche mit einer Zeitbombe abgestellt, die mit einer Sprengstofmischung der
Art »Compound B« gefüllt war. »Compound B« wird besonders bei militärischen
Einsätzen benutzt. Die Ermitlungen, beklagte sich der leitende Staatsanwalt
Libero Mancuso, seien vonseiten des Staates erschwert worden. Kein Prozess in
Italien habe so viele Irreführungen erlebt, so viele Versuche, die Richter vom Ziel
abzubringen, wie der wegen des Anschlags vom 2. August. Mal sollten die
Bombenleger unter deutschen Terroristen zu suchen sein, dann wieder wurden
den Ermitlern Spuren zugespielt, die zu palästinensischen Befreiungsorganisa-
tionen führten. Doch bald verdichteten sich die Hinweise auf italienische rechts-
radikale Kreise, die wiederum von Mitarbeitern des militärischen Geheimdienstes
SISMI und der inzwischen verbotenen geheimen Freimaurerloge »Propaganda
Due« (P2) gedeckt wurden. Nach einem langen und teilweise turbulenten
Prozessverlauf wurden schließlich 1995 in letzter Instanz Valerio Fioravanti und
Francesca Mambro, zwei Mitglieder der rechtsradikalen Untergrundorganisation
NAR, als ausführende Täter zu lebenslanger Hat verurteilt. Dazu wurden Licio
Gelli, der Großmeister der P2, sowie hohe SISMI-Beamte wie der General Pietro
Musumeci der Irreführung und der Behinderung der Ermitlungen für schuldig
befunden. Die Bombenleger sind also bekannt. Aber wer waren die Hintermän-
ner?
Der Anschlag von Bologna hat mehr Opfer gekostet als jeder andere politische
Anschlag in der italienischen Nachkriegsgeschichte. Zugleich ist er auch der ge-
heimnisvollste. Denn er passierte zu einem Zeitpunkt, als die Strategie rechts-
radikaler Kreise, Italien durch Terror in ein autoritäres System zu verwandeln,
ausgelaufen war. Der Publizist Gianni Barbaceto hat beim Rizzoli-Verlag unter
dem Titel »Il grande vecchio« (frei übersetzt: »Der unbekannte Alte«) ein Buch
über das Jahrzehnt der Anschläge in Italien veröfentlicht. Er vermutet, »dass mit
diesem Anschlag ein verzweifelter Versuch unternommen wurde, die ver-
schiedenen Spliter des rechtsradikalen Untergrunds wieder zu vereinen.«
Heute, so glauben viele Beobachter, ist die Strategie der Spannungen durch
eine Strategie der Durchdringung des Staatsapparates ersetzt worden. Staatsan-
walt Libero Mancuso sagt im Buch von Gianni Barbaceto: »Ihr habt uns besiegt,
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