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Berlusconis (vor)laute Träume
Keine Frage, die italienische Gesellschat hat eine Modernisierung dringend not-
wendig, Wissenschat und Forschung werden strälich missachtet, der kulturelle
Reichtum des Landes bleibt ungenutzt, alternative Energien werden nicht ge-
fördert, die öfentliche Verwaltung trägt jahrzehntealten bürokratischen Ballast
mit sich, kriminelle Organisationen kontrollieren besonders im Süden weite
Landstriche - außerdem sind sie dabei, sich auch im Norden festzusetzen -, und
die Infrastrukturen etwa im Verkehrswesen werden nur schleppend erneuert.
Die Berlusconi-Regierungen trugen durch ihre jahrelange Machtausübung für
Fehlentwicklungen und Stillstand erhebliche Mitverantwortung. Dennoch war es
vor allem Berlusconi selbst gelungen, sich in seinem Sprachgebrauch geradezu als
ein »Antipolitiker« darzustellen, der zwar an der Regierung war, aber geleichzeit-
ig gegen die politischen Zustände weterte. »Neu« und »modern« gehörten zu
seinem meistgebrauchten Schlagworten, dicht gefolgt von »moderat« und »liber-
al«. Zugleich wusste er die Italiener mit dem Traum von einer besseren, erfol-
greichen Zukunt zu verzaubern. Hat er nicht selbst gezeigt, dass man es durch
harte Arbeit (die sich natürlich lohnen muss) gleichsam vom Marktschreier zum
Medienmillionär schafen kann? Der reiche Unternehmer (Händler, selbst-
ständige Handwerker, Freiberuler) wurde zum Leitbild der Nation. Villen und
schöne Frauen eingeschlossen. Vermutlich haben die Italiener nie so viel
geträumt wie unter seinem Vorbild. »Pop-Politik« nennen Politologen das. Der
Politiker Berlusconi führte dabei mit seiner Sprache und seinen öfentlichen
Autritten einen Dauerwahlkampf, wie ihn Italien bis dahin nicht gesehen hate.
Wobei es ihm nicht so sehr um Stimmen, sondern um die Stimmung ging, nicht
um Wahl-, sondern um Umfrageergebnisse. Sein wichtigstes Schlagwort aber war
»Freiheit«, wie er auch sein Parteienbündnis rechter und konservativer Kräte
»Popolo della Libertà« - »Volk der Freiheit« nannte. Freiheit von einer Diktatur
der Staatsanwälte sowie von der Indoktrinierung durch linke Journalisten, Lehrer
und Professoren. Freiheit aber vor allem zu kaufen und zu verkaufen.
Politik wurde zum Marketing, und Gesetzesvorhaben wurden wie Produkte be-
worben. Es ist ja nicht so, dass Berlusconis Fernsehsender die Italiener mit polit-
ischer Dauerpropaganda malträtieren. Im Gegenteil: Politik kommt bei ihnen wie
in seinen populären Illustrierten nur am Rand vor. Im Mitelpunkt stand und
steht eine bunte Waren- und Traumwelt, in der sich Fiktion und Realität kaum
noch voneinander unterscheiden.
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