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Entwicklungen, sondern politische, soziale und kulturelle Gegebenheiten«. Iden-
tität wird als »ein öfentlicher Raum verstanden, in dem die Italiener sich als
Italiener erkennen können.«
Dazu gehören die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs mit seinen Toten und
Verletzten, die faschistische Gewaltpolitik der Zwanziger- und Dreißigerjahre,
aber auch die Zeit der Volksparteien nach dem Zweiten Weltkrieg und die alpha-
betisierende Wirkung von Radio und Fernsehen, bevor die kommerziellen Medi-
en das Land mit seichter Kost abspeisten. hemen der Emigration von Italienern
werden mit den Problemen heutiger Immigranten in Italien konfrontiert. Und am
Ende steht in den Turiner Hallen eines ehemaligen Ausbesserungswerks der Eis-
enbahnen (Oicine Grandi Riparazioni - OGR) die ernüchternde Einsicht, dass es
heute vor allem das Konsumverhalten ist, das die Italiener zwischen Como und
Catania vereint. Man brauche, so de Luna mit Blick auf die Gegenwart, mehr Bür-
gersinn und eine Öfentlichkeit, in der Gegensätze als etwas Positives, als ein
Wetstreit von Ideen anerkannt werden.
Die von der Schritstellerin Dacia Maraini herausgegebene Zeitschrit »Nuovi
Argomenti« sammelte im Jubiläumsjahr Antworten von über achtzig Autoren,
Publizisten und Journalisten auf einen Fragebogen zur Einheit. Fühlen Sie sich als
Italiener? Die meisten antworteten mit Ja, aber viele Befragte zeigten sich un-
wohl in ihrer Haut. Mit dem Begrif »Vaterland« konnten die wenigsten etwas
anfangen, eher etwas mit dem Wort »Patriot«. Mehrere Autoren, wie Melanie
Mazzucco, sahen die Idee des Vaterlands in der Mutersprache begründet. Mateo
Marchesini schrieb, dass die italienische Identität ein »Psychoproblem« sei, weil
sie »nicht auf einer Gesellschat und einem gemeinsamen Staatsgefühl aubaut,
sondern auf einer Literatursprache«. Der Neapolitaner Antonio Scurati wollte
dagegen eine kosmopolitische Dimension Italiens entdecken. Es genüge, so Scur-
ati, »die Geschichte der Oper, des Melodramas, als ein nationales Genre zu ver-
folgen.« So zeigten sich die Autoren gespalten in einem Land, wo National-
bewusstsein zur Schau gestellt wird, es aber an Staatsbewusstsein mangelt. Und
spiegelten damit die öfentliche Gefühlslage wider.
Wilder Regionalismus
Bis heute ist jedoch spürbar, dass der Süden Italiens mit Gewalt zur Einigung
gezwungen wurde. Die Abstimmungen für oder gegen ein »piemontesisches«
Italien fanden unter massivem Druck stat. Wer damals etwa in Neapel öfentlich
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