Travel Reference
In-Depth Information
schmollend hinter die Mauern des Vatikans zurück. Pius erkannte weder den
neuen italienischen Staat an, noch akzeptierte er die Garantien für Kirche und
Vatikan, die die Regierung gesetzlich verankern ließ. Er verbot sogar allen Gläu-
bigen, sich aktiv am politischen Leben des Landes zu beteiligen, was nicht wenige
Menschen in Gewissenskonlikte stürzte. Das änderte sich erst über vierzig Jahre
später, als der Priester Don Luigi Sturzo mit Genehmigung des Vatikans die kath-
olische Volkspartei (Partito popolare) gründen durte.
Die neue rechtsliberale Stadtregierung Roms reagierte nach 1870 auf diese Pro-
vokation von Pius mit einer eigenen. Sie ließ das moderne Stadtviertel Prati un-
terhalb des Vatikans bauen, mit geraden Straßen, großzügigen Wohnungs-
bauten - und mit Kasernen, damit sich der Papst wirklich als »Gefangener« füh-
len sollte, als den er sich selbst bezeichnet hate. Die Straßen wurden betont so
angelegt, dass sie den Petersdom ignorierten.
Die Stadtväter machten sich zudem einen besonderen Spaß, als es darum ging,
den Straßen und Plätzen Namen zu geben. Es sind meistens »antikatholische«
Namen, die sich entweder auf die heidnische römische Antike oder auf die na-
tionale Einheitsbewegung (das Risorgimento) beziehen. Die Hauptstraße des
neuen Viertels, der angenehme Boulevard Via Cola Di Rienzo, der zur Piazza del
Risorgimento bis an die Mauern des Vatikans führt, wurde schließlich nach dem
»Demokraten und Revolutionär« benannt, der in der ersten Hälte des
14. Jahrhunderts ein neues, von Kaiser und Papst unabhängiges Rom errichten
wollte. Am Fuß des Kapitols wurde Cola Di Rienzo 1354 auf dem Gang zu einer
Sitzung ermordet. Sein Schicksal beschätigte vor allem im 19. Jahrhundert Liter-
aten und politische Träumer, zum Beispiel auch Richard Wagner.
Vaterland und Muttersprache
Wie es dann weiterging, das kann man wieder in Turin verfolgen. Die Historiker
Walter Barberis und Giovanni de Luna lassen in einer festen Ausstellung
150 Jahre Nationalgeschichte Revue passieren. Nach dem Aperçu aus dem Risor-
gimento (»Wir haben Italien gemacht, jetzt müssen wir die Italiener machen«)
trägt sie den Titel »Fare gli italiani« (Die Italiener machen). Man verzichtet dabei
auf jede Rhetorik und überprüt mit aufwendiger Ausstellungstechnik (Installa-
tionen, Animationen, Videoeinspielungen und Dokumentationen) an ausgewähl-
ten hemen der Geschichte die Herausbildung nationaler Identität. Das waren, so
sagt Giovanni de Luna im Gespräch, »keine biologischen oder deterministischen
Search WWH ::




Custom Search