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2010 , Rn. 262). Der mit der Regelung verbundene Eingriff sei durch das Koexistenz-
ziel gerechtfertigt. Dieses erstrecke sich auf die Wahlfreiheit der Produzenten und
der Konsumenten (BVerfG 2010 , Rn. 278). Daneben würde auch die Risikovorsor-
ge bezweckt (BVerfG 2010 , Rn. 282). Es werde ein gerechter Interessensausgleich
zwischen den Beteiligten erzielt (BVerfG 2010 , Rn. 276, 288). Ein weniger eingrei-
fendes Mittel wie etwa ein Haftungsfonds der Saatgutindustrie oder der öffentlichen
Hand sei ungeeignet, weil es den Störer von der Verantwortung freistelle (BVerfG
2010 , Rn. 285). In ähnlicher Weise hält das Gericht auch den mit der Haftungs-
regelung verbundenen Eingriff in die Berufsfreiheit und Wissenschaftsfreiheit für
gerechtfertigt. Auch sei der allgemeine Gleichheitssatz nicht verletzt, weil die Haf-
tung an einen Störertatbestand anschließe, der bei sonstigen Grundstücksnutzungen
nicht gegeben sei (BVerfG 2010 , Rn. 317).
Insgesamt gibt das Gericht in seiner Entscheidung dem gesetzgeberischen
Bemühen um einen Kompromiss beider Fronten der Gentechnikkontroverse ei-
ne verfassungsrechtliche Basis. Die Kontroverse spiegelt sich in konfligierenden
Grundrechten wider, und die Lösungen entsprechen einer praktischen Konkordanz
dieser Grundrechte. Im Bemühen um Kompromissfindung bleiben allerdings einige
tiefergehende Fragen offen. Nicht wirklich geklärt wird, wie sich die Koexistenz
als Verfassungswert legitimieren lässt. Das Gericht leitet sie aus den konkurrie-
renden Grundrechten der gentechnikverwendenden und der gentechnikmeidenden
Landwirte ab. Genannt werden auch die Wahlfreiheit der Verbraucher und die die
Akzeptanz heischende öffentliche Kontroverse. Zu fragen wäre: Können sich auch
die Verbraucher auf Grundrechte (wie die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art.
2 Abs. 1 GG) berufen und dementsprechend Schutz des Gesetzgebers fordern?
Ist die Aufklärung der Öffentlichkeit auf die Meinungsfreiheit zu stützen? Oder,
näherliegend, aber hochkontrovers: Ist sie Teil des Demokratieprinzips? Anderer-
seits, wenn der gentechnikmeidende Landwirt Freihaltung seiner Landwirtschaft
von Transgenen grundrechtlich fordern kann, erstreckt sich der Grundrechtsschutz
dann womöglich auch auf andere Erzeugnisse, die er gegen die Konkurrenz neuerer
anderer Erzeugnisse bewahren möchte? Kann ein lokaler Käse auf diese Weise ge-
gen den allmächtigen Gouda geschützt werden? Und wenn der andere, innovative
Landwirt den Einsatz von GVO grundrechtlich durchsetzen kann: Wie weit ist der
Schutzbereich zu ziehen? Wird er sich auch auf Grundrechte berufen können, wenn
er in möglicher Zukunft biosynthetische Pflanzen will?
11.4 Rechtspolitische Bewertung
11.4.1 Individuelle und systemische Koexistenz
Betrachtet man die genannten gesetzlichen Maßnahmen der Koexistenzsicherung
im Überblick, so fällt auf, dass sie den Konflikt zwischen den Wirtschaftsweisen
auf der individuellen Ebene der einzelnen Landwirte zu überwinden versuchen. Das
ist aus mehreren Gründen problematisch:
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