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ten Schriften aus dieser Zeit heißt es:
„Die Streikenden haben jemanden
zum Garanten, der sich nicht mit histo-
rischen (...) oder militärischen Argu-
menten zur Ordnung rufen lässt. Die-
ser Jemand ist Gott.“
Weihnachten 1989, kurz vor der
Verfassungsreform, beging man im
Sejm mit Primas Józef Glemp das
christliche Abendmahl. Das stelle man
sich einmal im Bundestag vor ... Ohne
öffentliche Debatte und trotz der ver-
fassungsmäßigen Trennung von Kir-
che und Staat wurde gleich 1990 vom
Kindergarten bis zum Gymnasium der
verbindliche katholische Religionsun-
terricht eingeführt.
Nun kann man aber nicht sagen,
dass von der katholischen Kirche be-
sonders innovative Impulse für die
Herausforderungen der Zukunft aus-
gingen. Das Gegenteil ist häufig der
Fall, auch in Polen. 1991 hielten über
60 Prozent der Bevölkerung den Ein-
fluss der Kirche für zu groß. Seitdem
sind die christlichen Fundamentalisten
nicht untätig geblieben. Ebenfalls seit
1991 funkt aus der Glaubenshochburg
Toruń (Thorn) an der Weichsel der ra-
dikalkatholische, antisemitische Pri-
vatsender Radio Maryja. Bis zu fünf
Millionen Hörer lauschen täglich der
„katholischen Stimme in ihren Häu-
sern“, die mit eindeutigen Feindbil-
dern ein Ventil schafft für alle, die mit
der neuen Gesellschaft nicht klarkom-
men. Die Zensur der katholischen
Presse, die einen nicht unbedeuten-
den Teil des polnischen Blätterwalds
beherrscht, ist rigide, und es passiert
leider auch, dass man in einem Got-
teshaus unverhofft einer antisemiti-
schen Predigt lauscht.
1997 feierte die katholische Ge-
werkschaftsbewegung in Gestalt der
erzkonservativen Wahlaktion Solidar-
ność ihre Rückkehr an die Macht. „Im-
mer Polen, Freiheit, Familie“, lautete ih-
re Devise. Des ungeachtet wurde drei
Jahre später der „Pornopräsident“, wie
christliche Politiker Aleksander Kwaś-
niewski titulierten, ins höchste Staats-
amt wiedergewählt. Denn Kwaśniews-
ki war es, der mit seinem Veto im Früh-
jahr 2000 ein Gesetz verhinderte, das
Pornografie mit bis zu fünf Jahren Ge-
fängnis bestrafen wollte. Einige tüchti-
ge Abgeordnete hätten es seinerzeit
sogar gern gesehen, wäre gleich noch
das Küssen in der Öffentlichkeit mit
unter Strafe gestellt worden.
Und sie haben ihre Versuche bis
heute nicht aufgegeben. Im Frühjahr
2007 löste der Vorschlag eines natio-
nalkatholischen Abgeordneten, das
Tragen von Miniröcken als „Verlo-
ckung zum Sex“ zu verbieten, eine
heiße Debatte aus. Anfang Juni 2007
musste die Kinderbeauftragte der pol-
nischen Regierung von ihrer Behaup-
tung abrücken, dass von der Kinder-
sendung „Teletubbies“ eine „homose-
xuelle Propaganda“ ausginge.
So herrscht zwischen den Befürwor-
tern und Gegnern der Modernisierung
nach wie vor ein Glaubenskrieg. Viele,
die einst als Oppositionelle Schutz un-
ter dem Dach der Kirche fanden, ha-
ben sich mittlerweile zu ihren ent-
schiedenen Gegenspielern entwickelt.
Das Land ist tief gespalten, die Lager
stehen sich unversöhnlich gegenüber.
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