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wie der Kleinbauer an der weißrussi-
schen Grenze, der dort im Nirgendwo
keine Frau mehr zum Heiraten findet,
und außerdem eine anwachsende
Zahl katholisch-fundamentalisti-
scher Glaubenseiferer, die sich auf
der Suche nach der verlorenen Ein-
deutigkeit die Wiederkehr einer „star-
ken Hand“ für die Zukunft wünscht.
Denn nichts ist mehr einfach, alles
ist vieldeutig und verändert sich dau-
ernd. Die Umwälzungen in Polen seit
1989 waren gewaltig, und auch in den
Köpfen mussten seither enorme Kraft-
akte gemeistert werden. Selbst das alt-
ehrwürdige Sprichwort, das auf den
berühmten polnischen Individualismus
anspielt und besagt: „Wenn zwei Po-
len diskutieren, entstehen daraus drei
Parteien“, bekommt im Zeichen der
Globalisierung auf einmal einen ande-
ren Sinn.
In zwei Dingen ist sich aber der
Großteil der Menschen immer noch
einig. Es ist die Angst vor der Arbeits-
losigkeit. Und es ist der katholische
Glauben. 96 Prozent der Menschen
in Polen gehören der römisch-katholi-
schen Kirche an, und viele von ihnen
praktizieren ihren Glauben. Vor allem
die ältere Generation besucht oft
noch täglich die Kirche, doch auch un-
ter den Jüngeren gilt zumindest der
sonntägliche Besuch eines Gotteshau-
ses als eine elementare Glaubens-
pflicht. Die Sonntagsmessen sind voll,
so voll, dass man zum Kirchportal hi-
naus ansteht und der Gottesdienst
über Lautsprecher ins Freie übertragen
wird. Nachdem der kirchliche Segen
erteilt worden ist, hält am heiligen Ru-
hetag der Supermarkt gleich gegen-
über in einem Eckchen Kondome pa-
rat. Das ist die Freiheit, sagen die ei-
nen. Schande!, rufen die anderen. Und
man bekämpft sich erbittert.
Die Stellung der Kirche
Der Richtungsstreit der jungen polni-
schen Republik resultiert nicht zuletzt
aus der außergewöhnlich starken Stel-
lung der katholischen Kirche; wobei
die Wurzeln für ihren heute noch na-
hezu ungebrochenen Einfluss tief in
der polnischen Nationalgeschichte
liegen.
Bereits im 17. Jahrhundert entstand
während der „Sintflut“ die Gleichung
„Pole = Katholik“. Zur Zeit der Schwe-
deneinfälle hatte 1655 die wundertäti-
ge Schwarze Muttergottes von Czę-
stochowa (Tschenstochau) ihr Kloster
auf dem Jasna Góra (Leuchtenden
Berg) vor den protestantischen skandi-
navischen Feinden gerettet und stieg
zum Nationalheiligtum auf. 1683 be-
zwang König Jan Sobieski die Türken
vor Wien und ging als Retter des
christlichen Abendlands in die Annalen
ein. Zwei unumstößliche Beweise für
die richtige, die katholische Weltenleh-
re und für Polen als östliches Bollwerk
der katholischen Christenheit.
Von dieser heute „Messianismus“
genannten polnischen Geistesströ-
mung wurden im 17. Jahrhundert gro-
ße Teile der Gesellschaft ergriffen.
Umso traumatischer waren im darauf
folgenden Jahrhundert dann die drei
Teilungen der Heimat. Zumal von den
drei Großmächten, die Polen von der
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