Geography Reference
In-Depth Information
emittiert, die in den folgenden Jahren die Sonnenstrah-
len absorbierten und nördlich der Alpen schwere Miss-
ernten und Hungersnöte auslösten.
Die revolutionären und politisch entscheidenden
Klimamomente lassen sich auch an zahlreichen weiteren
Fällen nachweisen. Sowohl der französischen Revolution
1789 als auch den badischen Aufständen 1848/49 gingen
Hungerjahre voraus, die sich auf ungünstige Witte-
rungsverläufe beziehen lassen. Und die besonders
schneereichen und strengen Verläufe der Winter 1812
und 1941, die von Caviedes (2005) mit ENSO-Ereignis-
sen korreliert werden konnten, veränderten mit sehr
hoher Wahrscheinlichkeit die politische Entwicklung
Europas.
Dass die Vulnerabilität einer Gesellschaft von kom-
plexen Vorprägungen abhängt, belegt der Kälte- und
Hungerwinter 1947 in Mitteleuropa und auf den Briti-
schen Inseln. In Großbritannien wurden Schneeverwe-
hungen der ohnehin durch den Krieg geschwächten
Wirtschaft zum Verhängnis. Stromsperren und Versor-
gungsprobleme mit Kohle waren ebenso die Folge wie
weitflächige Überschwemmungen zur Schneeschmelze,
da das Tauwasser auf dem tief gefrorenen Boden nicht
versickern konnte. Jedoch konnten Menschenleben
weitgehend geschont werden. Durch den Krieg und die
Nachkriegszeit stärker geschwächt geriet dieser Winter
der deutschen Bevölkerung hingegen zur Tragödie mit
Epidemien, Hunger und Kälte, die nochmals viele Men-
schenleben kosten sollte.
Wie aktuell und entscheidend diese gesellschaftliche
preparedness und Resilienz ist, belegen auch die beiden
Klimakatastrophen von 2003 und 2010. In beiden
Hitzesommern stieg die Zahl der Toten in die Zehn-
tausende. War es 2003 vor allem die Unterversorgung
von Kranken, Alten und Alleinstehenden unter ande-
rem aufgrund des spezifischen Urlaubsverhaltens in
Frankreich, ist ein Großteil der Toten des in Osteuropa
aufgetretenen Hitzesommers 2010 hauptsächlich der
extremen Rauchentwicklung infolge der Wald- und
Moorbrände zuzuweisen.
Abb. 2.23 Unter dem Eindruck der Schilderungen rund um die
Auswirkungen der Eruption der Laki-Spalte auf Mitteleuropa
bekommt der auf dem Fresko in der St.-Andreas-Kirche in Köln
verewigte Vers aus Judas 1,12 eine fast prophetische Bedeu-
tung: „… wasserlose Wolken vom Winde getrieben, herbstliche
Bäume ohne Frucht …“ (Foto: Rüdiger Glaser).
Lauf. Die britischen Klimatologen Douglas, Lamb &
Loader (1978) haben dies bereits witterungsklimatisch
gewürdigt.
Extreme Kälte hatte Europa in den Wintern 1708 und
1739 im Griff. Beide Jahre zählen zumindest was die frü-
hen Instrumentenmessreihen anbelangt zu den kältes-
ten überhaupt.
Auch 1784 herrschte ein harscher Winter in Europa:
am Ende eines dramatisch zu nennenden Jahresverlau-
fes, der 1783 mit einem mehrere Wochen zu beobach-
tenden trockenen Nebel, dem Heerrauch, begann, sich
mit einem heißen Sommer fortsetzte und schließlich
nach dem kalten, schneereichen und langen Winter in
eine europaweite Hochwasserkatastrophe mündete.
Durch Eisgang kam es zu schweren Verwüstungen in
den Flusslandschaften und zahlreiche Menschen fanden
den Tod (Glaser 2008). Erst später wurde in Mitteleu-
ropa bekannt, dass der trockene Nebel seine Ursache im
Ausbruch der Laki-Spalte auf Island mit Emission von
großen Mengen schwefel-, stickstoff- und fluorhaltiger
Dämpfe seinen Ursprung hatte (Abb. 2.23).
Im Umkehrschluss wird heute historisch-progressiv
analysiert, welche Auswirkungen ein vergleichbarer Aus-
bruch auf das heutige Europa hätte. Nach Schmidt et al.
(2011) wären 142 000 Todesfälle zu beklagen.
Ebenfalls verursacht durch einen Vulkanausbruch
ging der Sommer des Jahres 1816 in die Klimageschichte
Europas und sogar der gesamten Nordhemisphäre ein
(Stommel & Stommel 1983). Ungleich weiter entfernt
als Island hatte die explosive Eruption des Tambora
(Indonesien) ein Jahr zuvor eine große Menge vulkani-
scher Aerosole und vor allem klimatisch wirksame
Schwefelverbindungen in hohe Atmosphärenschichten
Klimawandel und gesellschaftlicher
Diskurs
Die Klimaprognosen des IPCC (Solomon et al. 2007)
verheißen auch für Europa nicht nur Gutes. Allgemein
wird im vierten Sachstandsbericht von 2007 von einer
Temperaturzunahme in Europa ausgegangen, die je
nach Modellannahme und weiterem Verlauf zukünftiger
Kompensationen in der Größenordnung von bis zu 5 °C
liegen wird. Allgemein wird davon ausgegangen, dass ein
Schwerpunkt der Erwärmung in den Wintermonaten
auftreten wird und dass die gesamten Niederschlags-
summen steigen werden.
Search WWH ::




Custom Search