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garantierten Mindestpreise für Zucker um 36 Prozent zu
kürzen. Damit wurden ausländische Konkurrenten, ins-
besondere Zuckerrohrproduzenten wie Brasilien, kon-
kurrenzfähig.
Aktuell werden asymmetrische Beziehungen vor
allem im Kontext von land grabbing diskutiert. Interna-
tionale Großkonzerne kaufen in Entwicklungsländern
im großen Stil Agrarflächen auf. Eine solche Investition
müsste nicht prinzipiell schlecht sein, aber häufig wird
damit den Kleinbauern die Existenzgrundlage entzogen.
Denn wenn auf solchen Flächen überhaupt Lebens-
mittel angebaut werden, dann für den Export (z. B. cash
crops wie Soja). Der Großteil der Ackerflächen wird
anderweitig genutzt, vor allem für die Biospritproduk-
tion.
Europa und die USA nutzen Flächen in Ländern wie
Mexiko oder Brasilien, um eine Diversifizierung ihrer
Treibstoffversorgung zu erreichen und mit dem Biosprit
ein Stück weit weg zu kommen von den hohen Ölprei-
sen, allerdings um des Preises willen, dass sich die Preise
für Grundnahrungsmittel in vielen Entwicklungslän-
dern drastisch erhöht haben, weil Flächen und damit
auch Produktionsgrößen hierfür zurückgegangen sind.
Weitere Beispiele für solche wirtschaftsräumlichen Be-
ziehungen und die direkte und indirekte Marktmacht
der EU ließen sich finden.
Mit Bezug auf Europa wird daher in jüngerer Zeit
häufig ebenfalls von „Empire“ (Hardt & Negri 2000)
oder von „Imperium“ (Münkler 2005) gesprochen. Der
alte 500-jährige Kolonialismus und Imperialismus Eu-
ropas habe sich in eine neue imperiale politische und
ökonomische Weltordnung mit vielfältigen Folgen ver-
ändert. David Harvey (2005) spricht von einem „neuen
Imperialismus“ und versteht darunter ein Amalgam von
geoökonomischen und geopolitischen Diskursen. Altva-
ter & Mahnkopf (2007) erläutern in Stichworten den
Mechanismus dieser neuen Geoökonomik:
„Dieser [der neue Imperialismus] ist erstens dadurch
gekennzeichnet, dass die sozialen Bindungen ökonomi-
schen Markthandels gekappt […] werden. Die Politik
wird in den Dienst der ökonomischen Mächte genom-
men […] Zweitens bereitet auch die EU politisch das
Terrain für ökonomische Akteure inzwischen in aller
Welt, um ihnen Gelegenheiten zu Anlagen mit hoher
Rendite zu verschaffen. Dies geschieht durch Handels-
verträge, unterstützende Geld- und Finanzpolitik und
durch Förderung der Finanzplätze in der EU, von denen
aus die großen Fonds ihre globalen Anlagestrategien
realisieren können. Das läuft alles auf eine politische
Unterstützung der accumulation by dispossession hinaus
(Harvey 2003), also darauf, dass Renditen erzielt werden
können, die nicht durch Produktivitätssteigerungen und
die relative Mehrwertproduktion, also durch Innovatio-
nen im Produktionsprozess begründet, sondern durch
Enteignung erzielt werden […] Hinzu kommt die Priva-
tisierung öffentlicher Güter und Dienste, die den Men-
schen nicht mehr in ihrer Eigenschaft als Staatsbürger
zugänglich sind, sondern die sie auf dem Markt als Kon-
sumenten kaufen müssen […]
Finanzinnovationen ermöglichen hohe Renditen; sie
werden eigens zu diesem Zweck erfunden. Denn die
Finanzmärkte sind nach dem Zusammenbruch des poli-
tisch regulierten Systems von Bretton Woods liberali-
siert worden. Sie erhalten globale Bedeutung - zunächst
bei der Bildung der (frei schwankenden) Wechselkurse
auf Währungsmärkten seit den frühen 1970er-Jahren,
dann bei dem Recycling der Petrodollars seit der zweiten
Hälfte der 1970er-Jahre und schließlich bei der Anlage
liquider Mittel durch neue Finanzakteure mit neuen
Finanzinstrumenten in der neuen Phase der wilden fi-
nanziellen Globalisierung seit den 1990er-Jahren. In-
vestmentfonds, von Hedgefonds, Private Equity Fonds
bis zu Real Estate Investment Trusts (REITs), sammeln
große Beträge ein und legen diese weltweit an, um kurz-
fristig hohe Profite für ihre Klientel zu erzielen.“
Die EU ist in diesem Verständnis ein mächtiger „Li-
beralisierungstreiber“. Sie gebraucht ihre ökonomische
Stärke, um bilaterale und interregionale Abkommen mit
ökonomisch schwächeren Entwicklungsländern zum
Vorteil europäischer Unternehmen abzuschließen. Nach
Meinung mancher Autoren sind vor allem die soge-
nannten Freihandelsabkommen eine Form erzwungener
Marktöffnung, welche die Ökonomien von Entwick-
lungsländern schutzlos den Angriffen multinationaler
Konzerne preisgibt. In der Tat ist es solchen Unterneh-
men gelungen, in den letzten beiden Jahrzehnten ein
Drittel des Welthandels zu organisieren. Nur 25 von
186 Ländern kontrollieren zusammen 80 Prozent des
Welthandels, während 56 Länder jeweils weniger als
0,01 Prozent des Welthandels repräsentieren.
Die Liberalisierung des Handels marginalisiert auch
die bäuerliche Landwirtschaft des Südens, da ein Schutz
gegen verbilligte Agrarimporte aus den reichen Ländern
fehlt. Von den Staaten des Südens werden Freihandels-
abkommen, welche die EU zu ihren Gunsten abzuschlie-
ßen versucht, daher zunehmend scharf als „Massenver-
nichtungswaffen Europas“ kritisiert. So stellt Aminate
Traoré fest: „Diese Abkommen zielen darauf, unsere
Märkte für europäische Importe zu öffnen […] Europa
schickt uns seine Hühnerbeine, seine Gebrauchtwagen,
seine abgelaufenen Medikamente und seine ausgelatsch-
ten Schuhe, und weil eure Reste unsere Märkte über-
schwemmen, gehen unserer Handwerker und Bauern
unter“ (zit. nach Altvater & Mahnkopf 2007).
Freihandel ist so gesehen zwischen Ländern, deren
Wirtschaft sich auf einem ähnlichem Entwicklungsni-
veau befindet, gut, nicht jedoch zwischen solchen, deren
Entwicklungsstände sehr unterschiedlich sind. Das glo-
bale Handelsregime korrigiert die bestehenden Asym-
metrien zwischen ökonomisch starken und schwachen
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