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Form der innereuropäischen Gastarbeitermigration
fort. Diese Bewegung begann sich ab Ende der 1970er-
Jahre umzukehren. Nach dem Anwerbestopp 1973/74
nahm die Auswanderung graduell ab und viele der ehe-
maligen „Gastarbeiter“ wanderten in die südeuropäi-
schen Herkunftsländer zurück. Hinzu trat ein neuer
Trend: Zunächst Italien, dann Spanien und Portugal,
etwas später auch Griechenland (sowie Zypern und
Malta) zogen in zunehmendem Maße selbst Zuwande-
rer an. Im Verlaufe der 1980er- und 1990er-Jahre entwi-
ckelten sie sich zu Zielländern für Migranten aus Afrika,
Asien, Lateinamerika und Osteuropa. Heute gehören
Spanien und Italien zu den wichtigsten Einwanderungs-
ländern Europas.
erlebten die südeuropäischen Länder ein eindrucksvol-
les Wirtschaftswachstum, das die Kluft ökonomischer
Entwicklung und damit einhergehender Migrationsan-
reize weiter Richtung Süden verschob - von den Gebie-
ten nördlich der Alpen und Pyrenäen zum Mittelmeer
(King 2000). Die Nachfrage nach Arbeitskräften wuchs
vor allem auf dem informellen Arbeitsmarkt der südeu-
ropäischen Länder, zum Beispiel im Tourismussektor, in
Privathaushalten, in der Landwirtschaft oder im Bauge-
werbe. Da einheimische Arbeitskräfte aufgrund der
schlechten Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie der
Gastarbeiterwanderungen nach Norden für diese Tätig-
keiten rar geworden waren, erhöhte sich der Bedarf an
ausländischen Arbeitskräften. Ein Beispiel ist der Land-
wirtschaftssektor in der spanischen Provinz Almería:
Migranten, etwa aus Marokko, machen dort heute einen
bedeutenden Teil der Landarbeiter aus (Geiger 2005;
Abb. 6.24). Auch für irreguläre Migranten, die recht pro-
blemlos und unkontrolliert als billige, prekäre und flexi-
ble Arbeitskräfte eingestellt werden konnten, eröffneten
sich im informellen Sektor Beschäftigungsmöglichkei-
ten. Das spezifische „südeuropäische Modell der Ar-
beitsmigration“ (King 2000) unterscheidet sich damit
deutlich von der fordistischen Gastarbeitermigration in
die nord- und westeuropäischen Industrieländer. Es ist
nicht nur Ausdruck der Bedeutung informeller Arbeits-
märkte in Südeuropa, sondern auch Ausdruck des allge-
meinen ökonomischen Wandels vom Fordismus zum
Postfordismus seit den 1970er-Jahren.
Einen weiteren Migrationsdruck auf Südeuropa bau-
ten die scharfen demographischen Unterschiede im
Mittelmeerraum auf, zwischen den alternden oder stag-
nierenden Bevölkerungen am nördlichen Rand des
Mittelmeers und dem hohen Wachstum sowie der jun-
gen Altersstruktur der Bevölkerungen am südlichen
Rand (King 2000).
Die neue Anziehungskraft
Südeuropas
Die Transformation der südeuropäischen Länder von
Auswanderungs- zu Einwanderungsländern verdeut-
licht sehr gut den Wandel des europäischen Migrations-
systems seit der „Gastarbeiterzeit“. Eine grundlegende
Ursache für diesen Wandel ist die restriktive Zuwande-
rungspolitik der traditionellen Einwanderungsländer im
nördlichen Europa, die einen „Ablenkungseffekt“ zur
Folge hatte. Statt nach Frankreich, Deutschland oder die
Niederlande kamen zum Beispiel Migranten aus Nord-
afrika nun nach Italien oder Spanien, deren Grenzen
noch offen waren. Aus Transitländern auf der Migra-
tionsroute Richtung Norden wurden die südeuropäi-
schen Länder so zu „Warteräumen“ und schließlich,
auch bedingt durch ihre Mitgliedschaft in der Europä-
ischen Wirtschaftsgemeinschaft, selbst zu angestrebten
Wanderungszielen (King 2000). Dazu kamen starke
ökonomische Einflussfaktoren: Seit den 1970er-Jahren
Abb. 6.24 Migrantischer Landarbeiter
an den Tomatenfeldern von Almería
(Foto: Martin Geiger).
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