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soziale Sicherheit, die berufliche Karriere oder als die
Mobilität hemmender Faktor gesehen“ (Dorbritz &
Philipov 2002).
Fruchtbarkeit, Haushaltsbildung und partnerschaftli-
chen Beziehungen schlugen van de Kaa und Lesthaeghe
Mitte der 1980er-Jahre erstmals das Konzept der Zwei-
ten Demographischen Transformation oder des Zweiten
Demographischen Übergangs vor. Van de Kaa (1997)
begründet ähnlich wie Lesthaeghe (2010) die Unter-
scheidung zum Modell des Ersten Demographischen
Übergangs mit dem substanziellen Wandel von indivi-
duellen Wertvorstellungen, die „vorherrschende Be-
schäftigung mit Selbstverwirklichung, persönlicher
Wahlfreiheit, persönlicher Entwicklung und Lebensstil
sowie Emanzipation, wie sie sich in der Familiengrün-
dung, Einstellungen gegenüber Geburtenbeschränkung
und der Motivation zur Elternschaft darstellt“ (van de
Kaa 1997). Dieser Wandel auf der individuellen Ebene
war in gesellschaftliche Veränderungen der Makroebene
eingebunden. Daher betrachten Lesthaeghe und van de
Kaa diese Entwicklung als nicht umkehrbar und postu-
lieren eine globale Ausbreitung dieser Trends mit den
entsprechenden Folgen für das generative Verhalten
(Lesthaeghe 2010). Denn als Ursache für die Zweite
Demographische Transformation benennen sie die an-
haltende Wirksamkeit von Faktoren, die schon den
Ersten Demographischen Übergang auslösten: weitere
Steigerung des Wohlstandes, fortschreitende Bildungs-
expansion, Emanzipation sowie Stärkung des sozialen
Status von Frauen und der Wertewandel von materialis-
tischen zugunsten von postmaterialistischen Normen
und Orientierungen. Beide Autoren betrachten den
zweiten Übergang als eine Fortsetzung des ersten (van
de Kaa 1997) und nehmen implizit an, dass weltweit in
allen Ländern eine vergleichbare Transformation erfol-
gen wird.
Die Überlegungen von Lesthaeghe und van de Kaa
haben viel Kritik hervorgerufen. Coleman (2004)
hinterfragt insbesondere die Sinnhaftigkeit der Unter-
scheidung zweier Übergänge und argumentiert unter
Einbeziehung der Ergebnisse der Faktoren- und Cluster-
analyse mit
Der Fruchtbarkeitsrückgang unter das Reproduktions-
niveau wurde in den westlichen Ländern Europas nicht
von politischen oder ökonomischen Umwälzungen aus-
gelöst, sondern von gesellschaftlichen Veränderungen,
die auf Demokratie, einem weiter wachsenden Wohl-
stand und einer fortschreitenden Individualisierung
aufbauten. Der gesellschaftliche Hintergrund während
des Ersten Demographischen Übergangs, der in Europa
im 19. Jahrhundert einsetzte, war geprägt zum Beispiel
von der Sorge um grundlegende materielle Bedürfnisse
wie Einkommen, Arbeits- und Wohnbedingungen, von
steigenden Mitgliederzahlen in politischen Netzwerken
und der Stärkung des sozialen Zusammenhalts, von
einem zwar rückläufigen, aber immer noch hohen Ein-
fluss von Staat und Kirche auf Normen und Werte, von
geschlechtsspezifischen Rollenverteilungen in der Ge-
sellschaft und in hohem Maße von determinierten
Lebensläufen. Bis in die 1960er-Jahre herrschte eine
arbeitsteilige Familienstruktur mit dem Ehemann als
Haupternährer und der Ehefrau als fürsorgende Mutter
vor. Dieses Leitbild der Lebensform orientierte sich am
Bürgertum des 19. Jahrhunderts und bezeugte nach
außen einen sozialen Aufstieg, insofern als die Frau
nicht arbeiten musste, da ein Gehalt für den Lebensstan-
dard der Familie ausreichend war. Es war mit hoher
Beschäftigungs- und Einkommenssicherheit verknüpft,
die sich aber im Zuge der sich ausweitenden globalen
Strategie der Unternehmen seit den 1970er-Jahren deut-
lich abschwächte. Zeitgleich verlängerten sich mit der
Bildungsexpansion die Ausbildungszeiten von Frauen
wie Männern, und der wirtschaftliche Strukturwandel
mit fortschreitender Tertiärisierung erhöhte die Be-
schäftigungschancen der Frauen. Der Wunsch, mög-
lichst alle Optionen der zukünftigen Lebensführung
weitgehend offenzuhalten, verringerte die Akzeptanz
der traditionellen Familienstruktur. Begleitet war diese
Entwicklung vom Verlust institutioneller Einflüsse auf
die Lebensführung von Individuen, der dazu führte,
dass die Heirat den Lebenslauf einer Person immer
weniger vorbestimmte und wiederholte Brüche in ver-
schiedenen Lebensbereichen wie Erwerbstätigkeit, Part-
nerschaft oder Wohnstandort häufig wurden. Die Kon-
sequenz dieser gesellschaftlichen Veränderungen sind
höheres Erstheiratsalter, Hinauszögerung der ersten Ge-
burt, steigende Anteile nichtehelicher Geburten, sin-
kende Erstheirats- und wachsende Scheidungsraten, der
Bedeutungszuwachs neuer Formen des Zusammenle-
bens wie living-apart-together , nichteheliche Partner-
schaften oder Alleinleben (Exkurs 6.6).
Zur Erklärung dieser gesellschaftlichen Veränderun-
gen mit ihren wechselseitigen Relationen zwischen
der außerordentlichen Heterogenität zwischen den
Ländern,
dem nach wie vor hohen Stellenwert der Ehe, auch in
Skandinavien trotz der dort weit fortgeschrittenen
Deinstitutionalisierung, sowie
den fehlenden Überlegungen zu den Kennzeichen der
auslaufenden Phase des Z weiten Demographischen
Übergangs.
Van de Kaa (2004) begründet die Unterscheidung damit,
dass der erste Übergang auf dem bürgerlichen, der
zweite auf dem individualisierten Gesellschaftsmodell
basiert. Zudem hat jeder seine Wurzeln in einer
bestimmten Phase der gesellschaftlichen Entwicklung.
Der zukünftige Trend wird von der niedrigen Geburten-
häufigkeit in Verbindung mit der weiter steigenden
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