Geography Reference
In-Depth Information
Exkurs 6.1
Datenquellen
Angaben zur Einwohnerzahl oder Bevölkerungsentwicklung
sind für die Zeit vor 1750 wenig zuverlässig. Sie basieren
auf Schätzungen aus qualitativen Informationen, zum Bei-
spiel zur Zahl und Größe von Städten, zur landwirtschaft-
lichen Nutzfläche, auf Erfahrungswerten zur möglichen
Bevölkerungsdichte unter Berücksichtigung ökologischer
Bedingungen, der Wirtschaftsweise, des technologischen
Entwicklungsstands, der sozialen und politischen Organisa-
tion (Durand 1977).
Das älteste Dokument in Europa mit relativ genauen und
umfassenden Angaben ist das Domesday Book von 1086, in
dem Grundbucheintragungen für Siedlungen in ländlichen
Räumen Englands aufgelistet sind. Schätzungen zur mittle-
ren Haushaltsgröße ergeben zwar nur die Einwohnerzahl für
Gebiete außerhalb der Städte, doch kann diese Ungenauig-
keit wegen des niedrigen Anteils der städtischen Bevölke-
rung akzeptiert werden (Grigg 1980). Lückenhafte und nur
mit großem Aufwand auszuwertende Quellen zur Bevölke-
rungsentwicklung sind etwa Leibbücher, in denen die Leib-
eigenen einer Herrschaft namentlich aufgeschrieben sind,
kirchliche Erhebungen zu Kommunikanten, gelegentliche
Versorgungszählungen in Notzeiten oder Bürgerbücher,
also Listen von Personen, die neu das Bürgerrecht erhielten
(Pfister 1994).
Die weitgehende Entleerung großer Räume als Folge
des 30-jährigen Krieges weckte bei der Obrigkeit das Inte-
resse an Kenntnissen zu Bevölkerung und ihrer Entwick-
lung. So wurde ab 1684 in Brandenburg jährlich die Zahl
der Taufen, Trauungen und Todesfälle aufgelistet und in
Preußen ab 1719 Populationstabellen erstellt (Pfister
1994). Solche systematisch organisierten Erhebungen
führten letztendlich in Schweden 1749 zur Gründung des
weltweit ersten statistischen Amtes. Diese Entwicklung
wurde im merkantilistischen Europa von der Überlegung
des Menschen als Ressource und der Bevölkerungsgröße
als wirtschaftlicher und politischer Machtfaktor getragen.
Moderne Zählungen finden in Europa seit Mitte des
18. Jahrhunderts statt.
Niedergang von Städten und Handel sowie die Ausbrei-
tung der Subsistenzwirtschaft eine deutliche Verschlech-
terung der Lebensbedingungen verursachten. Dazu trug
die Auflösung römischer Institutionen bei, die zum Bei-
spiel die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung
mit Getreide vorbildlich organisiert hatten. Von diesen
instabilen gesellschaftlichen Verhältnissen waren vor
allem die westlichen und nördlichen Teile des ehemali-
gen Römischen Reichs betroffen, während sie in den öst-
lichen Gebieten weniger stark zu spüren waren. Dort
etablierte sich seit dem 6. Jahrhundert mit dem Byzanti-
nischen Reich eine neue Macht (Durand 1977).
Gegen Ende des ersten Jahrtausends zeichnete sich
ein langsamer, aber kontinuierlicher Anstieg der Ein-
wohnerzahlen ab. Zu Beginn des 8. Jahrhunderts hatten
die Mauren von Nordafrika kommend innerhalb von
nur sechs Jahren den Großteil der Iberischen Halbinsel
erobert. Sie brachten neue Kulturpflanzen wie Reis oder
Zuckerrohr und neue Agrartechniken wie verschiedene
Formen der Bewässerung mit, welche die Produktivität
in der Landwirtschaft und somit die Tragfähigkeit
erhöhten (Exkurs 6.2). In Mittel- und Westeuropa hat-
ten sich die politischen Machtverhältnisse stabilisiert,
die Landwirtschaft erlebte einen Aufschwung, Städte
und Handel blühten auf. Das Klima erwärmte sich und
wurde trockener, die Sicherheit der Ernten und damit
der Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung stieg
an.
Die Zunahme der Einwohnerzahlen zu Beginn des
zweiten Jahrtausends ist unstrittig. Schätzungen gehen
für das Jahr 1000 von 40 Millionen und für 1340 von
90 Millionen aus, der Anteil Europas an der Weltbevöl-
kerung erhöhte sich von 17 Prozent auf gut 20 Prozent.
In England verdreifachte sich die Einwohnerzahl, in
Frankreich und Deutschland verdoppelte sie sich. Man-
che Regionen des westlichen Europas erreichten Mitte
des 14. Jahrhunderts vergleichbar hohe Bevölkerungs-
dichten wie 500 Jahre später (Grigg 1980). Unabding-
bare Voraussetzung für dieses Wachstum war die Aus-
weitung der Nahrungsmittelproduktion, das heißt, die
geerntete Getreidemenge musste erhöht worden sein, da
Brot eine überragende Bedeutung für die Ernährung
breiter Bevölkerungsschichten hatte. Diese Steigerung
erfolgte hauptsächlich durch die Erschließung neuer
landwirtschaftlich nutzbarer Flächen wie die Vergröße-
rung des Ackerlandes auf Kosten der Allmende, die
Rodung von Wald zur Gründung neuer Siedlungen, an
den Küsten die Eindeichung oder die Kolonisierung
gering besiedelter Räume wie östlich der Elbe seit dem
12. Jahrhundert. Fortschritte in den Anbaumethoden
wie der Übergang von der Zwei- zur Dreifelderwirt-
schaft bedingten insgesamt höhere Erträge, doch waren
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