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Stark vereinfacht reagieren die Unternehmen auf diesen
Wettbewerb mit zwei sich ergänzenden Standortstra-
tegien. Die arbeitsteilige Organisation von Wertschöp-
fungsprozessen verändert sich: Einerseits verlagern In-
dustrie- und zunehmend auch Dienstleistungsunter-
nehmen Teile ihrer Produktion in lohnkostengünstige
Auslandsstandorte und binden neue Zulieferer an den
neuen Standorten in internationale Fertigungsverbün-
de ein. Nationale und internationale Beschaffungsstra-
tegien ergänzen sich. Die schrittweise Erweiterung der
Europäischen Union hat Unternehmen mehrfach zeit-
lich befristete Standortgelegenheiten an lohnkosten-
günstigen Auslandsstandorten eröffnet. Andererseits sind
die Unternehmen bestrebt, ihre Kontrolle über Absatz-
märkte nicht zu verlieren. Sie organisieren Marktnähe
über Vertriebsniederlassungen. Marktnähe bedeutet da-
bei vor allem, Kenntnisse über national spezifische
Konsumgewohnheiten aufzubauen und zu reproduzie-
ren. Dies gelingt den Unternehmen, indem sie sich
Zugang zur Kreativität und den Wissensflüssen in
metropolitanen Zentren verschaffen und indem sie
dort steuernd an kollektiven Wissensprozessen partizi-
pieren.
Die europäische Schuhindustrie dient im Folgenden
als abschließendes Branchenfallbeispiel, um noch ein-
mal die Gleichzeitigkeit der Auslagerung von Ferti-
gungsschritten und die Sicherung von Marktnähe durch
Wissenszugang sowie die damit einhergehenden vielfäl-
tigen ökonomischen Vernetzungen heterogener europä-
ischer Wirtschaftsregionen zu veranschaulichen. Die
deutsche Schuhindustrie ist im Verlauf der letzten 35
Jahre im Zuge ihrer Strategien zur optimalen Ausnut-
zung von Standortvorteilen - insbesondere für die Her-
stellung arbeitsintensiver Schuhkomponenten - von
einem europäischen Standort (z. B. Portugal) zum nächs-
ten (z. B. Rumänien) gewandert (Bertram 2005). Sie hat
- zumeist in ländlich geprägten Regionen - die Konzen-
tration von praktischem Wissen verstärkt und durch
besondere Anforderungen an die Qualität der Produk-
tion lokale Lernprozesse initiiert und gesteuert. Die
deutsche Schuhindustrie hat einerseits regionales Wirt-
schaftswachstum mitgetragen, andererseits - raumzeit-
lich versetzt - aber auch regionalen Strukturwandel und
Schrumpfungsprozesse hervorgerufen. Auch die italie-
nische Schuhindustrie, die im Vergleich zur deutschen
kleinteilig organisiert ist und den Ruf einer hochgradig
anpassungsfähigen und modische Trends beeinflussen-
den Branche genießt, hat in den letzten 15 Jahren
arbeitsintensive Fertigungsschritte nach Rumänien ver-
lagert. Die zunehmende Macht großer Einkaufsgemein-
schaften des Einzelhandels auf Auslandsmärkten hatte
die Margen der kleinen italienischen Hersteller ge-
drückt. Die Verlagerung erfolgte jedoch zum Teil auf
Kosten der Qualität und damit auf Kosten von Markt-
anteilen in hochwertigen Schuhmarktsegmenten. Paral-
lel aber haben renommierte Luxusmarken die italieni-
schen Qualitätshersteller als Lohnfertiger für sich ent-
deckt und die regionalen Produktionssysteme der italie-
nischen Schuhindustrie erneuert. Aus Paris und anderen
globalen Metropolen vergeben die Markenunternehmen
Produktionsaufträge nach Italien. Das Design und die
modischen Trends der Schuhe werden vorgegeben. Die
dafür notwendige Kreativität ist in den globalen Metro-
polen reichlich vorhanden. Die Metropolen dienen den
Luxusherstellern zudem als Lern- und Experimentier-
plattform der Geschmacks- und Konsumgewohnheiten
eines zunehmend kosmopolitischen Bürgertums. Damit
zirkuliert in den Metropolen das nötige Marktwissen
des Luxussegments. Die Zentren der Wissensproduktion
sind mit den Standorten des konzentrierten praktischen
Wissens der flexibel spezialisierten italienischen Schuh-
herstellung eng verflochten. Über vernetzt und arbeits-
teilig organisierte Produktion und Vermarktung gelingt
es der europäischen Schuhindustrie sowie den von ihr in
bestimmten Marktsegmenten geprägten Regionen, den
sich beschleunigenden Rhythmen der Innovation und
der Komplexität des Wettbewerbs zu begegnen.
Entfaltung der europäischen
Freizeitgesellschaft
Tim Freytag
Freizeit, Erholung und Tourismus zählen im Europa des
beginnenden 21. Jahrhunderts zu den zentralen Be-
standteilen des gesellschaftlichen Lebens. Freizeit ist be-
deutend mehr als einfach nur die Zeit, während der
nicht gearbeitet wird. Freizeit eröffnet die Möglichkeit,
eigenen Interessen nachzugehen, vielfältige Aktivitäten
auszuüben, persönliche Ziele zu verfolgen und sich auf
diese Weise selbst zu verwirklichen. Damit wird Freizeit
zum Ausdruck von Identität, zu einem Bekenntnis der
Zugehörigkeit zu Gleichgesinnten und so auch manch-
mal zu einem Akt der Abgrenzung von anderen. Wie wir
unsere Freizeit gestalten, ist abhängig von Interessen,
Gewohnheiten und Werten - und nicht zuletzt von den
individuellen finanziellen Möglichkeiten. Denn Freizeit
ist als soziale und kulturelle Praxis in unserer Zeit stark
von einer Konsum- und Erlebnisorientierung geprägt. Je
nach dem Blickwinkel, der gewählt wird, zeigen sich im
Bereich der Freizeit allgemein übergreifende Verände-
rungen ebenso deutlich wie eine Fragmentierung der
Gesellschaft. Weiterhin ist Freizeit im Zeitalter der fort-
schreitenden Globalisierung durch ein anwachsendes
Mobilitätsaufkommen und eine zunehmende Verbrei-
tung moderner Informations- und Kommunikations-
medien gekennzeichnet. Während das Reisen in frühe-
ren Jahrzehnten noch als eine besondere Form der
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