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und Inbetriebnahme von Produkten ( pre-sales- Bereich),
Wartung, Reparatur ( after-sales- Bereich) bis hin zu Be-
treibergeschäften oder Finanzdienstleistungen selbst zu
erstellen und anzubieten. Sie zielen darauf ab, die Be-
dürfnisse ihrer Kunden umfassend befriedigen zu kön-
nen (Glückler et al. 2008). Wenn Kunden stärker an
konkreten Problemlösungen als an einzelnen Gütern in-
teressiert sind, machen Industrieunternehmen diese
begleitenden Dienste gar zu ihren Kernkompetenzen.
Für Lohnfertiger, die im Auftrag anderer Industrie-
unternehmen Zwischenprodukte herstellen, entschei-
den Dienstleistungen häufig über den Zuschlag von
neuen Produktionsaufträgen. Die Kunststoff verarbei-
tende Industrie etwa bietet ihren Kunden neben der
Herstellung von Kunststoffteilen auch die Entwicklung
und das Design der Teile als Leistung an. Sie koordiniert
Exkurs 5.12
Konsum in Europa
Heiko Schmid und Julia Rösch
Konsum hat in Europa einen sehr hohen Stellenwert: Einer-
seits lassen sich nahezu alle wirtschaftlichen Aktivitäten
auf den Konsum der Endverbraucher zurückführen, wobei
allein die privaten Konsumausgaben in Europa (EU-27) jähr-
lich 12 248 Milliarden Euro und damit schon 58 Prozent des
europäischen BIP erreichen (Eurostat 2012a & b). Anderer-
seits bestimmt Konsum in zunehmendem Maß die gesell-
schaftliche Wirklichkeit und Alltagswelt. Seit der Industria-
lisierung hat sich in Europa der Konsum vom Mangel hin
zum Überfluss und von „lebenserhaltend“ zu „lebensver-
schönernd“ entwickelt. Heute stehen nicht nur ausreichend
Güter und Dienstleistungen für Grundbedürfnisse zur Ver-
fügung; es haben sich auch neue Bedürfnisse - etwa im
Bereich der Freizeitaktivitäten - gebildet bzw. sind von der
Werbeindustrie geschickt induziert worden. Konsum hat
sich in diesem Zusammenhang immer weiter in konsum-
ferne Bereiche vorgeschoben, wobei die Alltagswelt zuneh-
mend kommerzialisiert und für konsumtive Zwecke herge-
richtet wurde.
Beim Konsumenten ist vor diesem Hintergrund ein Wan-
del von Bedürfnisorientierung hin zu Distinktion und Kom-
munikation festzustellen. Er ist nicht mehr allein auf die
Befriedigung seiner Bedürfnisse aus, sondern nutzt Kon-
sum, um seine Identität zu konstituieren und zu kommuni-
zieren. Über Konsum wird der eigene Lebensstil und Sta-
tusanspruch repräsentiert, wird sich von bestimmten
Gesellschaftsschichten abgegrenzt oder mit ihnen identifi-
ziert. Bei Gütern und Dienstleistungen ist deshalb nicht
mehr primär der Gebrauchswert, sondern vielmehr der
Symbolwert entscheidend. Es kann allerdings kaum von
eindeutigen Konsumententypen ausgegangen werden, da
Konsum nicht immer statusäquivalent erfolgt: Der Einkauf
billiger Güter wird häufig mit dem von Luxusartikeln kombi-
niert. Insofern geht die Konsumforschung heute von einem
postmodernen, hybriden, keinesfalls aber typisch europä-
ischen Konsumenten aus, der je nach Situation und Stim-
mung seinen Konsum individuell ausrichtet. Ebenso kann
keinesfalls von einem europäischen Konsum gesprochen
werden: Zu sehr entspringen Güter und Dienstleistungen
internationalen Wertschöpfungs- und Warenketten; zu sehr
ist Konsum inzwischen ein globalisiertes, über die Medien
vermitteltes Kulturphänomen.
Konsum ist trotz globalisierter Konsum- und Produk-
tionsmuster immer auch lokalisiert. Die geographische
Dimension umfasst konsumseitig nicht nur Orte wie etwa
Einkaufszentren oder Marktplätze, die Konsum im Sinne
des Kaufaktes repräsentieren, sondern auch jene Orte, an
denen Konsum im Sinne von Genuss, Verzehr oder Ver-
brauch stattfindet. Produktseitig umfasst Konsum zudem
jene Geographien des Ökonomischen, Sozialen und Ökolo-
gischen, die den Produkten inhärent sind und als geogra-
phische Dimension von Konsum mitgedacht werden müs-
sen. Geographien des Ökonomischen sind das Ergebnis
globaler Wirtschaftsverflechtungen und internationaler
Arbeitsteilung bei der Herstellung von Konsumprodukten.
Sie umfassen die bereits genannten Wertschöpfungs- und
Warenketten. Geographien des Sozialen bilden die Produk-
tions- und Gesellschaftsverhältnisse in den Ursprungslän-
dern und besonders die dortigen Arbeitsbedingungen ab.
Geographien des Ökologischen verkörpern den „ökologi-
schen Fußabdruck“ von Konsumprodukten und beinhalten
die umweltbezogenen Folgewirkungen der Herstellung bzw.
des Ge- oder Verbrauchs.
Vor dem Hintergrund einer solchen Perspektive, die sich
an Ansätzen wie „Follow the thing“ (Cook et al. 2004) orien-
tiert, lässt sich Konsum als ubiquitäres Phänomen themati-
sieren, das Machtverhältnisse widerspiegelt. Dies wird
nicht nur in der Nutzung von Konsum zur sozialen Distink-
tion sichtbar, sondern auch in neokolonialen Zusammen-
hängen, wenn billige Arbeitskräfte in Niedriglohnländern
oder ungünstige terms of trade für Agrarprodukte aus soge-
nannten Entwicklungsländern den Konsum in Europa beför-
dern. Aspekte der Nachhaltigkeit und der sozialen Verant-
wortung sind denn auch verstärkt in den Blickpunkt von
Konsumenten in Europa gerückt.
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