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Lowtech in europäischen
Hightech-Regionen
Altindustrieregionen kennzeichnet eine hohe Arbeits-
losigkeit. Zwischen 2000 und 2006 wurden Altindustrie-
regionen in der EU als sogenannte Ziel-2-Regionen zur
Bewältigung des industriellen Strukturwandels finan-
ziell gefördert. Mit den Geldern wurden Hochschulen
ausgebaut, Technologiegründerzentren errichtet und
die Vernetzung der Wirtschaftsakteure vorangetrieben.
Das negative Image der altindustriellen Standorte sollte
verbessert werden. Bereits in den 1980er-Jahren zielten
politische Maßnahmen in Richtung einer Diversifika-
tion der traditionellen Wirtschaftsstrukturen und einer
Flexibilisierung der regionalen Beschäftigungsverhält-
nisse - jedoch oft mit nur mäßigem Erfolg. Bemühun-
gen zur vertraglichen Flexibilisierung der Arbeit stießen
in traditionellen Branchen, insbesondere bei gering qua-
lifizierten Arbeitskräften und den sie vertretenden Ge-
werkschaften, auf erhebliche Widerstände (Berndt
1995). Institutionelle Strukturen und die Innovations-
kraft regionaler Unternehmen beeinflussen demnach
gemeinsam die strukturelle Resistenz einer Wirtschafts-
region gegenüber konjunkturellen Krisen beziehungs-
weise ihre Fähigkeit, sich aus sich selbst heraus zu erneu-
ern.
Ein Nullsummenspiel der überregionalen Wirt-
schaftsentwicklung stellt sich ein, wenn große fokale
Unternehmen in einer Region neue Produktionskapa-
zitäten aufbauen, dafür aber an einem alten Standort
Beschäftigung abbauen oder Werke schließen ( cross-bor-
der plant closure ; Watts 2001). Insbesondere Ankündi-
gungen von Werksschließungen der Automobilindustrie,
die mit ihren lokalen Zulieferverflechtungen regionale
Strukturen bestimmt, stellen wirtschaftspolitische Hiobs-
botschaften dar. Die europäische Automobilindustrie
erlaubt geradezu idealtypisch, den Wandel von Wirt-
schaftsregionen infolge sich verändernder regionaler
Standortverflechtungen nachzuvollziehen (Exkurs 5.10).
Sie zeigt, wie Deindustrialisierung an alten Standorten
für neue Standorte wachsende Exporte an die alten
Standorte bedeutet (Schamp 2000).
Die fortschreitende räumliche Dezentralisierung der
Herstellung standardisierter Autoteile und ihr Reimport
an traditionelle Produktionsstätten ist ein wesentliches
Merkmal der Veränderungen in der Branche. Ebenso
auffällig aber ist die fortbestehende Zurückhaltung der
Hersteller, die Produktion fortschrittlicher Autokompo-
nenten in die Peripherie der nunmehr europaweit inte-
grierten Produktionssysteme auszulagern. Beides hat zu
einer Pluralität der Standorte geführt. Neue Formen der
logistischen Kontrolle der Fertigungsverbünde, eine
zunehmende Hierarchisierung von Entscheidungen auf-
grund von Unternehmensübernahmen und Marktberei-
nigungen sowie eine zunehmende Konzentration von
Finanzkapital hat die funktionale Spezialisierung unter
den Wirtschaftsregionen zusätzlich intensiviert.
Hochtechnologiebranchen, die überdurchschnittlich gro-
ße Summen in Forschung und Entwicklung investieren
und von denen immer wieder radikale Innovationen
und technologischer Fortschritte ausgehen, werden mit
Wachstum assoziiert. Regionen wie Baden Württem-
berg, Oberbayern oder der Großraum Paris (Île-de-
France), in denen sich Unternehmen der Biotechnolo-
gie, der Luft- und Raumfahrttechnik sowie der
Herstellung von Medizingeräten, Computern oder Fahr-
zeugen räumlich konzentrieren, werden mit einer
langfristig positiven wirtschaftlichen Entwicklung in
Verbindung gebracht. Mit der Abgrenzung und Gegen-
überstellung von Hochtechnologie- und Lowtech-Bran-
chen - respektive -Regionen - werden auf nationaler wie
auf EU-Ebene innovations- und industriepolitische
Schwerpunkte gesetzt. Universitäten und Forschungs-
einrichtungen, die sich auf Hochtechnologiesegmente
spezialisiert haben, besitzen einen erleichterten Zugang
zu öffentlichen Geldern. Die Politik verbindet damit die
Hoffnung, dass einerseits aus universitärem Wissen
neue Marktanwendungen hervorgehen und anderer-
seits über die privatwirtschaftliche Vernetzung von For-
schungseinrichtungen kollektive Lernprozesse realisiert
werden, welche die Wirtschaft stärken. Beispiele aus den
USA belegen, dass Gründungsraten im Umfeld von
technischen Universitäten besonders hoch sind (Jaffe et
al. 1993). Der Fokus auf Hochtechnologiesektoren ist
jedoch nur auf den ersten Blick gerechtfertigt. Zuneh-
mend setzt sich die Erkenntnis durch, dass auch Bran-
chen, die keine regelmäßigen Forschungsausgaben aus-
weisen, sondern vor allem inkrementelle Innovationen
vorantreiben, einen wesentlichen Beitrag für regionales
Wachstum leisten. Mehr noch: Am Hochlohnstandort
Europa intelligent produzierte einfache Zwischenpro-
dukte spielen eine wesentliche Rolle für den Erfolg der
europäischen Hochtechnologie. Schließlich sind High-
tech-Unternehmen über Zulieferbeziehungen eng mit
Unternehmen einfacher Branchen verbunden (Hirsch-
Kreinsen 2000).
Noch immer werden regionale Erfolgsgeschichten
jedoch zumeist einseitig aus Sicht von Hochtechnologie-
branchen erzählt. So gründet zum Beispiel der nordi-
sche Wachstumsraum Øresundregion, der sich aus der
dänischen Hauptstadtregion Kopenhagen sowie den
schwedischen Städten Malmö und Lund zusammen-
setzt, seinen Erfolg auf die Innovationstätigkeit der
Biotechnologie. Patentanmeldungen, Unternehmens-
neugründungen und eine positive Arbeitsmarktent-
wicklung lassen sich auf diesen Sektor zurückführen.
Die Ausstattung der Region mit renommierten Hoch-
schulen und Forschungsinstituten, die sich früh nicht
nur der Grundlagenforschung, sondern auch der ange-
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