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Alte und junge Wirtschaftsregionen
1986 Nettobezieher von regionalen Strukturfördermit-
teln. Mit diesen Mitteln, die in den Ausbau der regiona-
len Verkehrs-, Bildungs- und Forschungsinfrastruktur
flossen, wurden etwa in der ländlich geprägten Provinz
Alicante handwerklich organisierte und auf regionale
Märkte ausgerichtete Branchen wie die Spielwaren-,
Schuh- oder Möbelindustrie in Richtung Exportwirt-
schaft geführt. Mit der fortschreitenden EU-Osterweite-
rung wurden regionale Fördermittel indes neu verteilt.
Weitere Wirtschaftsregionen in der europäischen Peri-
pherie erhalten Gelegenheit, ihr Profil zu schärfen oder
neu auszubilden. Regionale Strukturfördermittel ziehen
immer auch ausländische Direktinvestitionen an. Schon
heute erweisen sich zahlreiche Regionen Polens, Tsche-
chiens oder der Slowakei besser in den europäischen
Markt integriert als ihre südspanischen Pendants. Im
Vergleich zu Spanien verfügen die osteuropäischen
Regionen nicht nur über günstige, sondern auch über
gut ausgebildete Arbeitskräfte in technischen Berufen.
Ihnen wird zudem eine deutlich geringere Aversion
gegenüber Fremdsprachen nachgesagt.
Die jüngere Wirtschaftsgeschichte Europas ist nicht nur
geprägt von dem Niedergang alter, sondern auch von der
Entstehung neuer Wirtschaftsregionen. Zwischen 1890
und 1940 wuchsen in Europa die Elektroindustrie und
die chemische Industrie zu Leitbranchen der wirtschaft-
lichen Entwicklung heran. Elektrizität wurde zu einem
wichtigen Inputfaktor der Produktion und Stromnetze
zu einer bedeutsamen Transportinfrastruktur. Aber
auch die Nähe zu Wasserstraßen und großen Ballungs-
räumen, die Absatzmärkte darstellten, blieben gewich-
tige Standortfaktoren. Die in den 1930er-Jahren einset-
zende Massenproduktion von Fahrzeugen sowie die
Weiterverarbeitung von Erdöl in der petrochemischen
Industrie stellten wieder neue spezifische Anforderun-
gen an die wirtschaftsnahe Verkehrsinfrastruktur. Das
Netz der Ölpipelines wurde ausgebaut und Raffinerien
(kriegsbedingt) an strategisch dezentralen Standorten
errichtet. Mit dem Aufkommen der Informations- und
Kommunikationstechnologien und der steigenden Be-
deutung der Computerindustrie ab den 1980er-Jahren
wurden dagegen postfordistische Wirtschaftsweisen ein-
geleitet. Großunternehmen, die sich oligopolistische
Wettbewerbspositionen erarbeitet hatten, wurden durch
neue Anforderungen an eine flexible Produktion her-
ausgefordert. Im Rückblick besaß gerade die Computer-
und Halbleiterindustrie große Freiheiten bei der Stand-
ortwahl. Ihre Unabhängigkeit von natürlichen Ressour-
cen, moderne IuK-Technologien und ein flächende-
ckendes Netz leistungsfähiger Verkehrsinfrastruktur
(Autobahnen, Flughäfen) eröffneten den Unternehmen
dieser jungen Branche zahllose Standortgelegenheiten.
Spezifische Standortvorteile wie etwa der Zugang zu
sicheren Datenspeichern oder schnellen Breitbandnet-
zen, die Nähe zu risikobereiten Kapitalgebern oder Wis-
sensbeziehungen zu spezialisierten Hochschulinstituten
bildeten die Unternehmen der Branche nach und nach
selbst aus. Gegenwärtig wird der Biotechnologie das
Potenzial zugeschrieben, einen neuen Zyklus techno-
ökonomischer Entwicklungen und neue gesamtwirt-
schaftliche Wachstumsschübe einzuleiten. Entsprechend
stark werden die Entwicklungen dieser Branche mit För-
derprogrammen begleitet. Im Zuge von nationalen und
regionalen Clusterstrategien wird nun auch seitens der
öffentlichen Hand versucht, diesen footlose -Industrien
spezifische Standortvorteile zu generieren und sie lang-
fristig an Standorte zu binden.
Förderprogramme spielen in der EU seit jeher eine
gewichtige Rolle bei der Definition und Herausbildung
neuer Wirtschaftsräume. Dass sich erfolgreiche Förde-
rung dabei nicht auf junge Wachstumsbranchen
beschränken muss, lässt sich unter anderem mit den
Industriedistrikten im Süden der Iberischen Halbinsel
verdeutlichen. Spanien ist seit dem EU-Beitritt im Jahr
Entstehung von Agglomerationsvorteilen
in Verdichtungsräumen und in ländlichen
Räumen
Eine räumlich verschiedenartige Ausstattung mit Wirt-
schaftsressourcen sowie ungleiche Lebensbedingungen
im Raum werden häufig am Gegensatz zwischen länd-
lichen Räumen und Verdichtungsräumen festgemacht.
Zweifelsohne unterscheiden sich beide Raumtypen sig-
nifikant hinsichtlich Bevölkerungsdichte, Industrie-
dichte, Kaufkraft sowie bei städtebaulich-morphologi-
schen Merkmalen. Der Gegensatz von Stadt und Land
hat sich aber auch interdependent dynamisch herausge-
bildet. Mit der Industriellen Revolution setzte eine mas-
sive Landflucht und Urbanisierung ein. Die durch eine
sinkende Sterberate stark anwachsende Landbevölke-
rung war aufgrund fehlender landwirtschaftlicher Nutz-
flächen gezwungen, sich nach neuen Erwerbsmöglich-
keiten in den Städten umzusehen. Missernten in den
Jahren 1816/1817 und 1845 bis 1849 hatten die Land-
flucht in Europa noch einmal zusätzlich verstärkt. Auch
heute noch existiert das Phänomen der Landflucht -
freilich in einer etwas anders gelagerten Form: Junge
Menschen verlassen ländliche Regionen, um in Verdich-
tungsräumen einer Ausbildung oder Beschäftigung
nachzugehen. Verdichtungsräume entwickeln in zweier-
lei Hinsicht eine wirtschaftliche Eigendynamik. Zum
einen verfügt die Bevölkerung in Verdichtungsräumen,
die vielfältigen einfachen und spezialisierten Beschäfti-
gungen nachgeht, über eine relativ hohe Kaufkraft. In
Verdichtungsräumen haben sich differenzierte Märkte
mit breiten Angeboten herausgebildet, um eine an-
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