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erfolgen - in Abhängigkeit von Veränderungen der kli-
matischen, wirtschaftlichen, politischen, demographi-
schen und technologischen Bedingungen. Der Nut-
zungswandel auf Rodungsinseln in borealen Wäldern
des hohen Nordens oder in den Höhenstufen der Ge-
birge ist als Beispiel zu nennen. Die Verlagerung der
nördlichen Weinbaugrenze in Europa ist nur erklärbar
durch ein komplexes Ursachengefüge und das Zusam-
mentreffen natürlicher Faktoren mit verschiedenen Ein-
flüssen innerhalb und von außerhalb der Weinbauge-
biete (Weber 1980). Während sich der Weinanbau in
Mitteleuropa auf besondere klimatische Gunstlagen
beschränkt und in aufwendiger Terrassenkultur betrie-
ben wird, ist in Südeuropa auch ein flächenhafter Anbau
möglich. Vor dem Hintergrund der Diskussion um den
Klimawandel wird für einige Nutzpflanzen mit der Aus-
weitung ihrer Anbaumöglichkeiten in Europa gerechnet,
teilweise aber auch mit erhöhtem Druck durch Krank-
heiten und Schädlinge (Chmielewski 2009).
Die großräumige zonale Erstreckung der Nutzungs-
möglichkeiten und Anbauzonen tritt in Europa hinter
eine kleingliederige Gestaltung der Agrarlandschaften
zurück. Die Kleinkammerung des Naturraums und die
kulturelle Vielfalt ergeben ein außerordentlich abwechs-
lungsreiches Bild der Landwirtschaft in Europa. Weite,
offene Landschaften des Getreidebaus ( openfields ) in
großen Teilen Mittel- und Osteuropas, Frankreichs und
im Innern der Iberischen Halbinsel stehen zum Beispiel
den kleingliederigen Heckenlandschaften ( bocage ) im
atlantisch geprägten Westen Englands, Frankreichs und
Nordspaniens gegenüber, in denen die Milchwirtschaft
auf Dauergrünland dominiert. Natürliche Gunstfakto-
ren stellen für viele räumliche Schwerpunkte einer spe-
zialisierten Agrarwirtschaft eine entscheidende Grund-
lage dar. So wird beispielsweise auf den fruchtbaren
Lössböden der Börden mit anspruchsvollen Nutzpflan-
zen wie der Zuckerrübe intensiver Ackerbau betrieben,
während sich niederschlagsreiche, maritim geprägte
Regionen auf Grünlandwirtschaft spezialisiert haben.
Der EU-Binnenmarkt begünstigt zudem eine regionale
Spezialisierung durch Ausnutzung naturräumlicher
Standortvorteile. In Südeuropa haben sich Schwerpunk-
te des intensiven Obst- und Gemüsebaus entwickelt. Die
Vielfalt klimatischer Bedingungen in der EU ermöglicht,
dass sich marktferne und marktnahe Anbaugebiete mit
zeitlich gestaffelten Erntezeitpunkten einander ergänzen
(Voth 2002). Die Ausbildung landwirtschaftlicher Inten-
sivgebiete ist jedoch nicht an naturräumliche Gunst-
standorte gebunden, sondern kann auch in der Nähe zu
Agglomerationsräumen, Verkehrslinien oder Handels-
häfen erfolgen, wie die Entwicklung der intensiven Tier-
haltung zum Beispiel im Oldenburger Münsterland
oder in Katalonien belegt.
Während an Gunststandorten die Prozesse der Inten-
sivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft
weiter fortschreiten, ist in vielen peripheren Räumen
und an Standorten mit schwierigen klimatischen Bedin-
gungen oder Grenzertragsböden die landwirtschaftliche
Nutzung im Rückzug begriffen. Prozesse der Aufgabe
oder Extensivierung der Agrarproduktion kennzeichnen
weite Bereiche Nordeuropas, aber auch viele Gebirgs-
räume sowie die Gebiete Südeuropas, in denen eine
Bewässerung unrentabel oder aufgrund von Wasser-
mangel nicht möglich ist. Im mediterranen Süden ist das
Nebeneinander dieser sehr unterschiedlichen Entwick-
lungstendenzen besonders krass. Während in fruchtba-
ren Küstenstreifen und Beckenlagen, wo ausreichend
Wasser verfügbar ist oder aufwendig zugeleitet wird, sich
intensive Obst- und Gemüsekulturen ausbreiten und
weiterhin kostspielige Terrassen und Gewächshäuser
neu angelegt werden, verfällt oftmals in unmittelbarer
Nähe eine Kulturlandschaft des traditionellen Trocken-
feldbaus und der Gebirgslandwirtschaft. Auf Vielseitig-
keit ausgerichtete Nutzungssysteme, wie die cultura pro-
miscua in Mittelitalien oder die agro-silvo-pastoralen
Systeme im Südwesten der Iberischen Halbinsel ( dehe-
sas, montados ), können sich nur durch das Angebot
hochwertiger Qualitätsprodukte oder dank Förderpro-
grammen zur ländlichen Entwicklung behaupten. Kon-
flikte können sich ergeben aus der Umwidmung land-
wirtschaftlicher Nutzflächen durch Aufforstung oder
einer Ausweisung von Großschutzgebieten. Es sind
jedoch häufig gerade die Gebiete mit günstigen Bedin-
gungen für eine Intensivierung, in denen die Landwirt-
schaft mit anderen Nutzungsansprüchen konkurriert.
Eine rücksichtslose Zerstörung selbst der besten Böden
durch die Expansion von Siedlungs- und Infrastruktur-
flächen ist nicht nur in Mitteleuropa anzutreffen, son-
dern gegenwärtig im Zuge der fortschreitenden Subur-
banisierung und Dynamik touristischer Siedlungen
auch in Südeuropa, wo fruchtbare Talauen und land-
wirtschaftlich intensiv genutzte Küstenhöfe überbaut
werden. So vielfältig, wie die kleinräumigen Muster der
Agrarregionen Europas sind auch ihre Entwicklungsten-
denzen und Problemlagen.
Kolonialwaren - frühe agrarwirt-
schaftliche Vernetzung Europas
mit der Welt
Die Lage Europas in den mittleren Breiten begrenzt
die Möglichkeiten des Anbaus von Kulturpflanzen mit
höheren Temperaturansprüchen. Nur an wenigen Gunst-
standorten im äußersten Süden können einige subtro-
pische oder tropische Gewächse gedeihen, wie bei-
spielsweise Avocado, Mango und Zuckerrohr in den
geschützten Küstenstreifen Südspaniens oder Bananen
auf Kreta, Madeira und den Kanarischen Inseln (Voth
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