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Exkurs 5.4
Die Azoren-Ananas
Seit dem 17. Jahrhundert gelangte frische Ananas durch
den Transport lebender Pflanzen nach England. Die Früchte
waren für die oberste Gesellschaftsschicht bestimmt,
erzielten sehr hohe Preise und wurden sogar in beheizbaren
englischen Treibhäusern geerntet. Die sich allmählich ent-
wickelnde Nachfrage wurde ab 1864 von den Azoren
gedeckt, einer zu Portugal gehörenden Inselgruppe in rela-
tiver Marktnähe und mit einem Klima, das den Anbau von
Ananas in unbeheizten Gewächshäusern erlaubt. Frische
Ananas durfte unter den damaligen Transportbedingungen
kaum länger als fünf Tage unterwegs sein, um die Märkte
Europas in gutem Zustand zu erreichen. Die Azoren lagen
am Schnittpunkt der durch den Gewächshausanbau nach
Norden vorgeschobenen klimatischen Anbaugrenze mit der
Verderblichkeitsgrenze des Transports von Ananas nach
Europa. Auch nach Deutschland wurden die Früchte expor-
tiert. Solange Ananas aus tropischen Ländern nicht auf die
europäischen Märkte gelangen konnten, ermöglichten hohe
Preise eine äußerst arbeitsintensive Produktion in den Glas-
häusern an der Südküste der Azoreninsel São Miguel, die
hiermit einen wirtschaftlichen Boom erlebte. Mit der Ver-
besserung der Transporttechniken nach dem Zweiten Welt-
krieg nahm die Konkurrenz der Importe aus den Tropen
allerdings deutlich zu, sodass der Anbau auf den Azoren nur
durch die Umorientierung auf den geschützten portugiesi-
schen Markt aufrechterhalten werden konnte. Im Rahmen
des Gemeinsamen Marktes der EU ist jedoch ein Außen-
schutz nicht mehr möglich, sodass der traditionelle Anbau
auf den Azoren nur dank einer geschützten Ursprungsbe-
zeichnung und besonderer Qualitätsmerkmale fortgesetzt
werden kann, welche die hohen Produktionskosten im
„Subventionsglashaus“ der EU rechtfertigen. Nur relativ
teure Flugananas aus den Tropen kann mit dieser Spitzen-
qualität konkurrieren (Voth 1997).
Abb. 1 Ananas-Glashaus auf der
Azoreninsel São Miguel: Der Anbau
ist extrem arbeitsintensiv. Jede
Einzelpflanze wird behutsam gepflegt
(Foto: Andreas Voth 1993).
1997). An der Mittelmeerküste Andalusiens ist im
Schutze der Sierra Nevada südlich von Granada das
weltweit größte geschlossene Anbaugebiet der aus Süd-
amerika stammenden Cherimoya-Früchte ( Annona che-
rimola ) entstanden.
Der Handel mit tropischen Agrarprodukten reicht
viele Jahrhunderte zurück und hat sich seit Beginn der
Neuzeit vom Mittelmeer auf die Atlantikrouten verla-
gert. Die Versorgung der europäischen Länder mit hier
nicht erzeugbaren Lebensmitteln und Rohstoffen aus
tropischer Landwirtschaft waren ein wesentlicher An-
trieb der Kolonialisierung von Gebieten in Übersee. Die
portugiesischen Entdeckungsfahrten eröffneten den See-
weg nach Indien und die Kontrolle über den Gewürz-
handel. Andere europäische Seefahrernationen folgten.
Im sogenannten Dreieckshandel waren die Plantagen-
wirtschaft in Amerika, der Sklavenhandel und die Liefe-
rung tropischer Agrarprodukte nach Europa miteinan-
der verbunden. Zwischen Europa und der Neuen Welt
fand ein reger Austausch an Kulturpflanzen und Nutz-
tieren statt, aber auch eine Übertragung von Konsum-
mustern. Erinnert sei etwa an die Einführung von Kar-
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