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Agrarwirtschaftspolitiken
Wirtschaftshilfe (RGW). Diese Ziele und die vorherr-
schende Ideologie, nach der ein Bauer wie ein Industrie-
arbeiter zu betrachten war, bildeten die Basis für eine auf
große, industriell organisierte Betriebe ausgerichtete
Landwirtschaft in Ländern, in denen bis dahin zumeist
kleinbäuerliche Strukturen und nur wenige größere
Güter üblich waren. Bis zur Transformation wurde so
die deutliche Mehrzahl der Betriebe zu staatlichen
Großbetrieben (meist nach sowjetischem Vorbild) zu-
sammengefasst oder staatlich kontrolliert (FAO 2004).
Die so entstandene Produktionsstruktur bestand im
Wesentlichen aus unterschiedlichen, im Prinzip jedoch
vergleichbaren Großbetriebstypen mit oft mehreren
Tausend Hektar Land und einer Ausrichtung auf Ska-
lenerträge. Die sogenannten Sowchosen waren Land-
wirtschaftsgroßbetriebe im Staatsbesitz mit angestellten
bäuerlichen Lohnarbeitern. Im ebenfalls aus der Sowjet-
union stammenden Model der Kolchose wurden die
Bauern hingegen genossenschaftlich in einem „sozialis-
tischen Kollektiv“ organisiert. Prinzipiell hatten die
Bauern in diesem Kollektiv als stimmberechtigte Mit-
glieder Mitspracherecht in den betrieblichen Entschei-
dungsprozessen. Praktisch wurden die Entscheidungen
jedoch in der Regel von zentral ausgewählten Vorstän-
den getroffen, die die Ziele und Ansichten des Zentral-
staats und der Partei vertraten.
Trotz der generellen Dominanz dieser großen staat-
lich kontrollierten Betriebe in Mittel- und Osteuropa
vollzog sich die sozialistische Transformation der Land-
wirtschaft nicht überall gleich intensiv, sondern variierte
in den unterschiedlichen Ländern teilweise erheblich.
Während zum Beispiel die ehemalige DDR oder Ungarn
fast eine vollständige Kollektivierung erfuhren, herrsch-
ten in Polen und dem ehemaligen Jugoslawien bis zum
Ende des sozialistischen Systems weiterhin kleinbäuerli-
che, weitestgehend eigenständige Betriebe vor (Abb. 5.12).
Bis 1989 wurden die sozialistischen Betriebe in den
meisten Staaten Mittel- und Osteuropas immer größer.
Während ihre Struktur darauf angelegt war, durch die
Erzielung von Skalenerträgen eine zunehmend hohe
Leistungsfähigkeit zu erreichen, führte unter anderem
die Auflage, grundsätzlich keine Beschäftigten zu entlas-
sen dazu, dass die Betriebe in der Regel tatsächlich eine
sehr geringe Arbeitsproduktivität besaßen. Viele der Be-
triebe waren daher auf direkte staatliche Finanzhilfen
und/oder Preisunterstützungen angewiesen.
Peter Dannenberg und Tobias Chilla
Zwischen Markt- und Planwirtschaft -
Agrarwirtschaft nach der System-
konkurrenz
Seit 2004 sind acht ehemalig sozialistisch geführte
mittel- und osteuropäische Länder (MOEL) Mitglied
der Europäischen Union: Estland, Lettland, Litauen,
Polen, Tschechien, Slowenien, Slowakei und Ungarn.
2007 folgten Rumänien und Bulgarien (außerdem Malta
und Zypern, die keine MOEL sind). Durch diese Er-
weiterungen hat sich die Struktur der Landwirtschaft in
der Europäischen Union erheblich verändert. Zu den
bisher rund 6 Millionen Landwirtschaftsbetrieben in
den 15 alten Mitgliedstaaten sind 7 Millionen Betriebe
hinzugekommen. Vor allem in Rumänien und Ostpolen
lag der Anteil der Erwerbstätigen im primären Sektor,
das heißt in der Land- und Forstwirtschaft sowie der
Fischerei, in einigen Regionen bei bis zu 20 Prozent und
mehr (Abb. 5.11). Dies ist ein Vielfaches des EU-Durch-
schnitts von 5,6 Prozent im Jahr 2005 (BBSR 2010).
Gleichzeitig haben die zwölf neuen Mitgliedstaaten
die landwirtschaftliche Fläche von bisher 130 Millionen
Hektar in der EU-15 um rund 55 Millionen Hektar
(ca. 40 Prozent) vergrößert (Europäische Kommission
2010a). Für die EU-Agrarpolitik bringt diese neue
Struktur erhebliche Herausforderungen mit sich, denn
die Landwirte in den neuen Mitgliedstaaten besitzen
nun nicht nur Zugang zum Binnenmarkt der EU, son-
dern erwarben gleichzeitig auch Anspruch auf die EU-
Direktzahlungen (die stufenweise auf die volle EU-Höhe
angehoben werden) und nehmen an den Maßnahmen
zur Entwicklung des ländlichen Raums teil. Vor diesem
Hintergrund stellt das folgende Kapitel kurz Entwick-
lung, Situation und mögliche Perspektiven der Land-
wirtschaft der MOEL im Kontext von Systemtransfor-
mation und Strukturwandel vor.
Situation der MOEL
vor der Transformation
Bis 1989 war die Landwirtschaft der sozialistischen
mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL) im
Wesentlichen auf ein einziges Ziel ausgerichtet: Die Pla-
nungsziele der jeweiligen Regierung bzw. der herrschen-
den sozialistischen Partei zu erfüllen. Kernelemente die-
ser Planwirtschaft waren der Ausbau einer autarken
Lebensmittelversorgung, eine industrialisierte Land-
wirtschaft sowie Handel mit dem Rat für gegenseitige
Nach der Transformation bis heute
Mit der Transformation brachen diese Unterstützungen
wie auch der Handel mit weiten Teilen des RGW weg
(FAO 2004). Die Betriebe mussten sich nun dem Wett-
bewerb mit Betrieben aus dem Westen stellen, die in der
Regel günstiger und qualitativ höherwertige Produkte
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