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Lebensmitteleinzelhandel setzt die Landwirtschaft unter
Zugzwang.
Sowohl die Erhaltung der genetischen Vielfalt als
auch biotechnologische Innovationen können für die
zukünftige Entwicklung der Landwirtschaft von Bedeu-
tung sein. Neben den bekannten Anwendungen biotech-
nologischer Forschung im Gesundheitssektor gilt auch
die auf den Agrarsektor bezogene grüne Biotechnologie
als dynamische Hightech-Branche. Ihre Ziele waren
zunächst die Gewinnung von Resistenzen gegen Krank-
heiten und Schädlinge, die Einsparung von Dünger und
Pflanzenschutzmitteln, nachfolgend aber auch direkte
Vorteile für Konsumenten, wie etwa verbesserter Nähr-
stoffgehalt der Agrarprodukte. Auch im Hinblick auf
Einflüsse des Klimawandels und Ziele einer standortan-
gepassten nachhaltigen Landwirtschaft könnte die Bio-
technologie Lösungen anbieten. Die Anwendung bio-
und gentechnologischer Erkenntnisse gehört zu den
internationalen Trends, denen sich auch Europa lang-
fristig nicht wird verschließen können. Insbesondere in
Deutschland, aber auch in anderen Ländern Europas
wird eine Entwicklung und Verbreitung derartiger Inno-
vationen jedoch behindert durch die emotional aufgela-
dene Debatte um die Vorteile und Risiken des Einsatzes
gentechnisch veränderter Organismen (GVO) in der
Landwirtschaft und ihres patentrechtlichen Schutzes.
Eine größtenteils einseitige Risikodarstellung in den
Medien und ein öffentlichkeitswirksames Auftreten kri-
tischer Interessengruppen lassen Unternehmen der
Ernährungswirtschaft bislang vor der Verwendung von
GVO-Produkten zurückschrecken (Willers 2009). Ange-
sichts starker Vorbehalte der meisten Konsumenten
gegenüber Lebensmitteln aus GVO ist die Genehmi-
gungspraxis der EU sehr restriktiv. Die intensive Tier-
haltung in Europa ist auf den Import von Futtermitteln
angewiesen, doch sind die sehr niedrigen Grenzwerte
der EU für Verunreinigungen in Futtermitteln durch
GVO-Sorten schwer einzuhalten und behindern die
Importe. Die restriktive Haltung der EU gegenüber
GVO in der Produktion von Lebensmitteln führt zu
Auseinandersetzungen mit Drittländern vor der WTO
und zusätzlich erhöhten Produktionskosten für Land-
wirte in der EU (Wesseler 2010).
Ebenfalls kontrovers diskutiert wird der Einsatz von
Nahrungs- und Futterpflanzen zur Energiegewinnung
(„Teller versus Tank“). Die Landwirtschaft hat zuneh-
mend Aufgaben der Produktion nachwachsender Roh-
stoffe übernommen. Der Preisdruck auf den Märkten
traditioneller Agrarprodukte, die Suche nach Einkom-
mensquellen zur Krisenabsicherung landwirtschaft-
licher Betriebe, der erhebliche Preisanstieg fossiler
Energieträger, sowie politische Regelungen zur Förde-
rung von Klimaschutz und alternativen Energien (Re-
duzierung des CO 2 -Ausstoßes) haben eine dynamische
Entwicklung der Bioenergien ausgelöst, die allerdings
ebenso als neuer Flächenkonkurrent auftreten. Auch
Windkraftanlagen und Sonnenkollektoren sind zuneh-
mend auf Agrarflächen anzutreffen. Während Bioetha-
nol in Europa erst eine relativ geringe Rolle spielt, hat
die Erzeugung von Biogas und Biodiesel eine rasante
Entwicklung genommen. In beiden Bereichen ist
Deutschland bislang führend, insbesondere in der Bio-
gasproduktion, die auf der Vergärung organischen
Materials aus Abfällen oder zu diesem Zweck angebau-
ten Energiepflanzen beruht. Wichtige Vorteile liegen
zum Beispiel in der Verwertung tierischer Exkremente
und der möglichen Kombination von Stromerzeugung
und Wärmenutzung. Die zum Aufbau einer Biogasan-
lage notwendigen hohen Investitionen zwingen den
Betreiber zu einer kontinuierlichen Bereitstellung gro-
ßer Mengen an Mais oder anderen Gärsubstraten, die
in der Regel nicht weit transportiert, sondern aus dem
näheren Umfeld bezogen werden. Zu achten ist auf eine
ausreichende Anlagengröße und Flächenausstattung
der Betriebe (Barkmann 2009). Die starke Nachfrage
nach Flächen für den Anbau von Energiepflanzen führt
zu steigenden Pachtpreisen, die für andere Landwirte
zu einem Problem werden können, ebenso wie der
durch Biogasanlagen beeinflusste Preisanstieg bei Fut-
termitteln. Zur Herstellung von Biodiesel werden die
Anbauflächen von Ölpflanzen wie Raps und Sonnen-
blume weiter ausgedehnt. Nachdem zunächst nur
wenige Länder an der Biodieselerzeugung teilhatten,
kam es im Verlauf der letzten Jahre zu einer räumlichen
Ausweitung. Länder wie Spanien stiegen in den expan-
dierenden Markt ein, während die Produktion in
Deutschland aufgrund einer nun angehobenen Besteu-
erung von Biodiesel leicht zurückging (Abb. 5.7). Der
Markt für Bioenergien ist also ein politischer Markt,
der seine Impulse im Wesentlichen von gesetzlichen
Regelungen erhält. Die Flächenverfügbarkeit für die
Produktion von Bioenergien ist jedoch begrenzt, sodass
vor einer zu euphorischen Bewertung zu warnen ist
(Breuer et al. 2008).
Aus den differenzierten Konsumwünschen ergeben
sich wachsende Anforderungen an die Lebensmittelqua-
lität. Herkunft, Herstellungsweise, Gesundheitswert und
eventuelle Risiken von Agrarprodukten werden zuneh-
mend kritisch hinterfragt ( food fears ; Blay-Palmer &
Donald 2008). Das Image der Landwirtschaft in der
Öffentlichkeit hat durch verschiedene Begleiterschei-
nungen der Intensivierung erheblich gelitten. Der „Rin-
derwahnsinn“ (BSE), die Ausbreitung von Tierseuchen,
die Gesundheit gefährdende Belastungen von Lebens-
mitteln und wiederholt auftretende Lebensmittelskan-
dale (z. B. „Gammelfleisch“, Käse-Imitate) erregen die
Aufmerksamkeit. Die Sorgen und Vorbehalte der Kon-
sumenten werden durch eine oftmals verzerrte und
emotionalisierende Berichterstattung der Medien ver-
stärkt. Umweltprobleme durch intensive Landwirt-
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