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schreibung entsteht als Schreiben mit Bezug, aber auch
in Abgrenzung zum imperialen Zivilisierungsprojekt
„Europa“ sowie zu Aufklärung und Moderne. „Provinci-
alizing Europe“ findet eben zu einem großen Teil wieder
über eine Neuinterpretation europäischer Denker und
Philosophen statt. Europa ist, schreibt Chakrabarty,
„auch ein Bestandteil von jedermanns Erbe“ (Chakra-
barty 2010). Dementsprechend ist Chakrabartys Kern-
thematik die Schwierigkeit, diesen Eurozentrismus im
Begriffsapparat selbst zu überwinden.
Im Vorwort zur zweiten Auflage von „Provincializing
Europe“ schreibt Chakrabarty, dass es viele unterschied-
liche Orte gebe, von denen aus Europa provinzialisiert
werden könne (Chakrabarty 2008). Wang Hui ist sich im
Klaren, dass „Asien“ und „Europa“ nur als interagie-
rende Narrative von Geschichte(n) erzählt werden kön-
nen. Wang Hui tendiert jedoch in seiner Kritik dazu, im
kritischen Denken immer schon explizit einen Eurozen-
trismus und latenten Kolonialismus zu verorten. Ganz
anders scheint Chakrabartys Argument gelagert zu sein:
Er schreibt Europa die zivilisierende Agenda zu, dass die
europäischen Kolonialmächte neben ihrer imperialisti-
schen Eroberung weiter Erdteile den unterworfenen
Völkern auch die Denkkategorien und Begriffe zur Kri-
tik eben dieser Fremdherrschaft und imperialen Unter-
drückung gegeben hätten. Für Chakrabarty sind dies der
Marxismus und der Liberalismus. Dies bezeichnet Cha-
krabarty als civilizational aspect - nicht im Sinne einer
zivilisierenden, erziehenden Mission, sondern als eine
Grundbasis „zivilisierten“ Zusammenlebens (trotz Ko-
lonialismus und Fremdherrschaft) - sozusagen ein mi-
nimaler Grundbestandteil eines von allen geteilten Zivi-
lisationsverständnisses. Und so fragt Chakrabarty eben:
Wie sollte ein Europa aussehen, dass diesen civilizational
aspect in die heutige Zeit hineintragen könnte, als Anre-
gung, Erinnerung und Mahnung an all die neuen
Emporkömmlinge unter den Nationen, die sich schon
als die zukünftigen Vormächte sehen? Chakrabarty
denkt hier vor allem an Indien und China.
Ein ganz anderes Bild von Europa ergibt sich beim
Blick über den Atlantik, wo Europa eher als „alte, müde
Tante“ gesehen wird, nicht als zivilisatorisches Zu-
kunftsmodell. Dieses Bild zeigte sich zum Beispiel in der
herablassenden Kritik des damaligen US Verteidigungs-
ministers Donald Rumsfeld, der im Januar 2003 über
Frankreich und Deutschland sagte: „that's old Europe“ -
ein überaltertes, selbstzufriedenes, schwächliches Eu-
ropa, unwillig und unfähig, an der Seite der USA den
„Krieg gegen den Terror“ zu führen. Damals schon
führte diese Kritik, diese Einteilung in ein verweichlich-
tes „altes“ und ein dynamisches (weil mit den USA im
Irak Krieg führendes) „neues“ Europa eher zu einer
Selbstbestätigung unter europäischen Intellektuellen;
eine Selbstbestätigung, die sich aus eben diesem zivilisa-
torischen Überlegenheitsgefühl nährte, wonach Europa
eine Zivilmacht sei, die es nicht mehr nötig habe, Kriege
zu führen. Auch Robert Kagans Zuordnung eines realis-
tischen, hobbesianisch orientierten Mars (USA) und
einer (durchgeistigten) kantischen Venus (Europa) be-
stätigte eher das Selbstbild europäischer Intellektueller
über ihr Europa und sich selbst (Kagan 2003).
Für Chakrabarty stehen die „unterschiedlichen Euro-
pas, die in den verschiedenen Teilen der Welt in den
Köpfen existieren, in einer Beziehung zueinander. […]
Man kann die positiven Errungenschaften Europas
heutzutage nicht mehr von seinen dunkleren Seiten
trennen“. Chakrabarty erzählt vom indischen Dichter
Rabindranath Tagore, der Europas „Zivilisiertheit“ in all
ihren Ambivalenzen bewunderte: „Wir haben gesehen,
dass Europa seine Politik und seine Handelsinteressen
mit grausamer Skrupellosigkeit durchsetzte und dabei
in unterschiedlichem Namen verschiedenste Formen
von Sklaverei über das Antlitz der Erde verbreitete. Und
dennoch lebt in eben diesem Europa stets ein lebendiger
Protest gegen seine eigenen Ungerechtigkeiten weiter“
(Chakrabarty 2010). Welches „Europa“ - welche Euro-
pas - preist Tagore hier? Die Frage nach den Aussichten
auf Europa beinhaltet auch eine Geographie dessen, was
Europa ist und wo es endet: Wo sind die Grenzen Euro-
pas - topographisch und topologisch, als universalisti-
scher Ideentopos?
Raumordnerische
und planungspolitische
Regionalisierungen
Stefanie Dühr
Der Prozess der europäischen Integration, mit dem die
heutige Europäische Union (EU) in den vergangenen
Jahrzehnten von ursprünglich sechs auf derzeit 27 Mit-
gliedsstaaten angewachsen ist und die EU-Institutionen
durch sukzessive Vertragsänderungen zunehmend mehr
Kompetenzen erhielten, wirft wichtige Fragen bezüglich
der geeigneten Entscheidungs- und Umsetzungsebene
für raumrelevante EU-Politikbereiche auf. Der regiona-
len Ebene wird durch ihre Bürgernähe in diesen Diskus-
sionen große Bedeutung beigemessen. Auch der Beitrag
des Innovations- und Wirtschaftspotenzials von Regio-
nen für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU
ist ein viel diskutiertes Thema der letzten Jahre.
Die Rolle der Regionen in der EU wurde nachhaltig
gestärkt durch den Vertrag von Maastricht (1992). Die-
ser formuliert das Subsidaritätsprinzip, welchem zufolge
Entscheidungen auf der niedrigst möglichen politischen
Ebene getroffen werden sollen, und gründete den „Aus-
schuss der Regionen“ als beratendes Organ der EU. Der
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