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Räumliche Ein-
und Ausgrenzungen
zung nach außen ermöglichen nicht nur die Konstruk-
tion eines transnationalen Binnenmigrationsraums,
sondern tragen auch zur Entstehung eines die EU-Gren-
zen überschreitenden Migrationsraums bei.
Die Idee eines transnationalen Mobilitäts- und
Migrationsraums innerhalb Europas wurde bereits in
den Gründungsverträgen der Europäischen Wirtschafts-
gemeinschaft 1957 verankert. Die dort formulierten
Kernpunkte eines europäischen Binnenmarkts um-
fassen die Niederlassungsfreiheit und die Arbeitnehmer-
freizügigkeit, das heißt das Recht, in anderen Mitglieds-
staaten zu wohnen und eine Beschäftigung aufzuneh-
men. Mit diesen Rechten soll die Entstehung eines
flexiblen und effizienten europäischen Arbeitsmarkts
befördert werden. Das Recht auf Freizügigkeit über
nationalstaatliche Grenzen hinweg wurde entsprechend
der ökonomischen Grundintention der europäischen
Integration zunächst in Abhängigkeit von der ökonomi-
schen Aktivität konzipiert und bezog sich eher auf
„Arbeitnehmer“ als auf „Bürger“ (Favell & Recchi 2009).
Dies änderte sich mit dem Vertrag von Maastricht 1992,
der durch die Einführung der EU-Staatsbürgerschaft das
Recht auf uneingeschränkte Mobilität auf alle Bürger
der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auswei-
tete. Parallel zur Erweiterung der Freizügigkeitsrechte
wurden im Zuge des Schengen-Prozesses die Grenzkon-
trollen zwischen den EU-Ländern - mit Ausnahme von
Großbritannien und Irland - abgebaut. Darüber hinaus
gehören auch Norwegen, Island, die Schweiz und Liech-
tenstein zum Geltungsraum des Schengener Überein-
kommens. Der damit entstehende transnationale Mobi-
litäts- und Migrationsraum in Europa erfuhr im Zuge
der Erweiterung der EU 2004 und des Schengen-Raums
2007 eine bedeutende geographische Ausweitung. Die
rechtliche Konzeption und Umsetzung der Vision eines
transnationalen Migrationsraums wird von politischen
Europa wird, vor allem in der Außensicht, häufig als
„Wohlstandsfestung“ wahrgenommen; zunehmende Of-
fenheit nach innen mit dem Abbau der Zollschranken
und Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedstaaten kor-
respondiert mit mitunter rabiaten Abschottungsmaß-
nahmen nach außen. Aufgrund seiner wirtschaftlichen
und politischen Position ist der Halbkontinent sowohl
transnationaler Migrationsraum als zugleich Abschot-
tungsraum. Migranten insbesondere aus dem shatter
belt Afrikas ebenso wie Flüchtlinge aus Krisenregionen
des Vorderen Orients und des Fernen Ostens durchque-
ren die Länder Europas auf der Suche nach einem besse-
ren Leben, oder aber sie werden an seinen Außengren-
zen abgewiesen. Innerhalb Europas allerdings hat die
politische Wende 1990/91 die Situation gründlich verän-
dert. Die Länder hinter dem „Eisernen Vorhang“ sind
nun Teil der Europäischen Gemeinschaft, teilweise sogar
des Schengen-Raumes. In der Außensicht changierte der
alte Kontinent oft zwischen Hoffnungs- und Zukunfts-
modell für unterentwickelte Ökonomien und, vor allem
in den USA, dem Image einer „alten Tante“, ein Thema,
das weiter hinten im Abschnitt „Aussichten auf Europa“
behandelt wird.
Europa als transnationaler
Migrationsraum und
als Abschottungsraum
Christine Lang
Selten treffen die beiden Seiten des europäischen Migra-
tionsraumes so unvermittelt aufeinander wie auf den
Bildern von entkräfteten afrikanischen Bootsflüchtlin-
gen und europäischen Touristen am Strand von Te-
neriffa (Abb. 4.13): Europa erscheint einerseits als trans-
nationaler Mobilitäts- und Migrationsraum, in dem
EU-Bürger ungehinderte Freizügigkeit über nationale
Grenzen hinweg genießen - nicht zuletzt als Touristen.
Andererseits wird Europa als Abschottungsraum sicht-
bar, dessen Grenzen von unerwünschten Migranten aus
Nicht-EU-Staaten schwer zu überwinden sind. Entgren-
zung nach innen und Abgrenzung nach außen sind zwei
zentrale Triebkräfte der europäischen Integration. Bei
genauerer Betrachtung sind die Grenzen, die die Euro-
päische Union zwischen „innen“ und „außen“ schafft,
jedoch fließend, sie greifen nach außen aus, setzen sich
nach innen fort und sind für manche Migranten durch-
lässiger als für andere. Die als Abschottung wahrgenom-
menen und erfahrenen Anstrengungen einer Abgren-
Abb. 4.13 Touristen und Bootsflüchtlinge am Strand von Tene-
riffa (Foto: Arturo Rodríguez).
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