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Exkurs 4.7
Grenze als Ressource
Bettina Bruns
Die Außengrenzen der Europäischen Union (EU) werden vor
allem mit Flüchtlingen in Verbindung gebracht und medial
als Ausdruck der „Festung Europa“ charakterisiert. Sie stel-
len jedoch nicht nur ein Hindernis dar, sondern für viele
Menschen, die in Grenznähe leben, auch eine ökonomische
Ressource, mit welcher sie einen Teil ihres Lebensunterhal-
tes verdienen können.
Sowohl in den 2004 und 2007 zur EU beigetretenen
Staaten aus dem östlichen Mitteleuropa wie zum Beispiel
Polen und Rumänien als auch in ihren Nachbarstaaten jen-
seits der östlichen Außengrenze der Union wie Ukraine und
Belarus hat seit dem politischen Umbruch von 1989/90 ein
umfassender Transformationsprozess stattgefunden. Viele
strukturschwächere Regionen und ihre Einwohner sind
neben positiven vor allem mit negativen Effekten dieses
Prozesses konfrontiert. So führte der wirtschaftliche
Umbruch zu einem drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit,
was seinerseits eine stetige Erwerbsmigration aus Ost-
mittel- nach Westeuropa bedingte. Auch das vielerorts sehr
niedrige Lohnniveau verstärkt diesen Trend und führt zu
einer weiteren Schwächung peripherer Regionen. Zu Letz-
teren zählen oftmals grenznahe Gebiete aufgrund ihrer
ausgeprägten Strukturschwäche und des damit zusammen-
hängenden Mangels an Arbeitsplätzen. So betrug die Ar-
beitslosenquote beispielsweise in allen grenznahen Kreisen
der polnischen Woiwodschaft Warmi´sko-Mazurskie, die an
die russische Exklave Kaliningrad grenzt, im Jahr 2009 min-
destens 25 Prozent (GUS 2010a), wohingegen die durch-
schnittliche Arbeitslosenquote im gesamten Land nur bei
gut 12 Prozent lag (GUS 2011). Auch lag der monatliche
Durchschnittslohn erheblich unter dem nationalen Mittel
(GUS 2010b).
Vor diesem ökonomisch schwierigen Hintergrund über-
rascht es nicht, wenn die Nähe zur Grenze von der Bevölke-
rung zur Einkommensgenerierung genutzt wird und dadurch
die negativen Auswirkungen des Systemumbruchs abgemil-
dert werden. Kleinhandel und Schmuggel von Waren ver-
schiedenster Art bilden dabei die grenzbezogenen Haupter-
werbsquellen. Die Art und Weise, wie Personen dabei
vorgehen und welche Bedeutung die „Erwerbsquelle Gren-
ze“ für sie besitzt, ist sehr unterschiedlich. Die grenzbezo-
genen Einkünfte können die gesamte Existenzsicherung,
aber auch nur einen kleinen Zuverdienst ausmachen.
Grenzüberschreitende ökonomische Aktivitäten können ille-
gal sein, was etwa beim Zigarettenschmuggel der Fall ist,
oder vollkommen offiziell und institutionalisiert, wenn es
etwa um Unternehmer in der Touristikbranche oder im pro-
duzierenden Gewerbe geht. Zwei Fallbeispiele sollen die
Vielfältigkeit demonstrieren, mit der Grenzen als Ressour-
cen genutzt werden.
Joanna lebt in einer polnischen Kleinstadt in der Nähe
der Grenze zu Kaliningrad. Sie arbeitet in der öffentlichen
Initiativen zur Förderung grenzüberschreitender Mobi-
lität begleitet, wie der Ausrufung des „Europäischen Jah-
res der Mobilität der Arbeitnehmer“ 2006, da innereu-
ropäische Mobilität als Kernelement ökonomischen
Wachstums und politischer Integration erachtet wird
(Boswell & Geddes 2011).
Freizügigkeitsrechte und der Abbau von Grenzkon-
trollen nach innen gehen einher mit einer verstärkten
Kontrolle der Außengrenzen der EU bzw. des Schengen-
Raums gegenüber der Zuwanderung von sogenannten
Drittstaatsangehörigen. In der EU-Rhetorik wird dabei
begrifflich unterschieden zwischen der internen „Mobi-
lität“ von EU-Bürgern, der positive Effekte zugeschrie-
ben werden, und der internationalen „Migration“, die als
potenzielles „Problem“ für die innere Sicherheit be-
trachtet wird. Beide Dimensionen fließen in dem erklär-
ten Ziel der EU, einen „Gemeinsamen Raum der Frei-
heit, der Sicherheit und des Rechts“ zu schaffen,
zusammen: Damit die EU-Bürger freie, grenzüber-
schreitende Mobilität nach innen genießen können,
müssen sie vor Gefahren von außen „geschützt“ werden
- und dazu wird auch „illegale Migration“ gezählt (Bos-
well & Geddes 2011, Geiger 2011). Migrationsfragen
werden in diesem Kontext eng mit sicherheitspoliti-
schen Aspekten verknüpft (Huysmans 2006).
Die migrationspolitische Zusammenarbeit europä-
ischer Staaten begann in den 1980er- und 1990er-Jahren
in den Feldern Grenzpolitik (Schengener Übereinkom-
men) und Asylpolitik (Dubliner Übereinkommen). Seit
dem Amsterdamer Vertrag von 1997, durch den ein
großer Teil des Politikbereichs „Migration“ in suprana-
tionale Zuständigkeit überging, wird die „Vergemein-
schaftung“ der Migrationspolitik kontinuierlich voran-
getrieben; der Schwerpunkt liegt dabei auf den
Bereichen irreguläre Migration sowie Flucht und Asyl.
Maßnahmen, die darauf zielen, unerwünschte, „illegale“
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