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Exkurs 4.4
Ost-West-Gegensätze in der Ukraine im Spiegel
des Wahlverhaltens
Seit der „orangenen Revolution“ 2004 werden Wahlen in
der Ukraine auch in der internationalen Medienöffentlich-
keit mit Interesse verfolgt und Journalisten ebenso wie
(selbsternannte) Wahlforscher sind dabei sehr rasch mit
ethnisch-historischen Erklärungen für das offensichtlich
deutlich zwischen Ost und West verschiedene Wahlverhal-
ten zur Hand. In der Tat zeigen die Präsidentschaftswahlen
vom Januar 2010 auf den ersten Blick die häufig zitierte
„zweigeteilte“ Ukraine. Die Interpretation liegt somit nahe:
In der Westukraine mit ihren Kandidaten Juschtschenko und
Tymoschenko spiegele sich die Westorientierung der früher
zur K.-und-K.-Monarchie gehörenden Gebiete Galiziens und
der Bukowina, in der Ostukraine mit ihrem Kandidaten Janu-
kowytsch hingegen die Russifizierung der großen Industrie-
komplexe um Donezk. Eine genauere quantitativ-statisti-
sche Analyse der Wahlergebnisse (Hehn 2010) macht
allerdings deutlich, dass das Wahlverhalten ebenso von
Stadt-Land-Gegensätzen bestimmt ist (vor allem im Falle
von Janukowytsch), teilweise auch von sozio-ökonomischen
Divergenzen. So haben für den weit abgeschlagenen Juscht-
schenko einige ländliche Wähler in der Westukraine ge-
stimmt, für die Kommunisten die ältere, ärmere städtische
Bevölkerung.
Abb. 1
Die Abbildung zeigt, wel-
cher der Präsidentschaftskandida-
ten für die Wahl im Januar 2010 in
der ersten Wahlrunde die meisten
Stimmen auf sich vereinigen
konnte. Der generelle Ost-West-
Gegensatz im Wahlverhalten in der
Ukraine wird gleichwohl durch
sozio-ökonomische Spezifika wie
den Stadt-Land-Gegensatz oder
Gegensätze zwischen armen und
wohlhabenden Regionen etwas dif-
ferenziert (verändert nach: electo-
ralgeography.com).
Viktor Janukowytsch
Yulia Tymoschenko
Viktor Juschtschenko
•
Unitarisch-dezentralisierte Staaten wie Frankreich,
die Niederlande, Portugal sind ebenfalls durch ein
zentralistisches Staatswesen geprägt; allerdings sind
hier regionale Körperschaften in der Verfassung vor-
gesehen. Vor allem seit den 1980er-Jahren ist ver-
stärkt ein Trend weg von der fast alleinigen Entschei-
dungskompetenz des jeweiligen Zentralstaats zu
beobachten.
mit Verfassungsrang verlagert. Im Unterschied zu voll
föderalisierten Staaten spielen aber Prinzipien der
Subsidiarität und geregelten Konfliktlösung eine
geringere Rolle.
•
Einen vollständig föderalisierten Staatsaufbau hat
zurzeit nur die Bundesrepublik Deutschland. Die
Gesetzgebung liegt prinzipiell bei den Ländern; diese
verfügen über die volle Finanzhoheit und eigene
Steuereinnahmen. Ferner existiert ein Finanzaus-
gleich zwischen wirtschaftsstarken und -schwachen
Bundesländern. Belgien hat sich inzwischen ebenfalls
•
Regionalisierte Staaten wie Belgien, Spanien oder Ita-
lien haben Teile der Entscheidungskompetenz in
nach- oder nebengeordnete Gebietskörperschaften