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Alte Kunstgegenstände zum Beispiel. Kleine Dinge, die mitten in der Wildnis herumliegen.
Diese Dinge sind dann überraschend und neu für sie, und das macht sie glücklich.«
»Und er da? Macht er gerade Mittagspause oder was? Zumindest in den letzten zehn Mi-
nuten sah er ziemlich unterbeschäftigt aus.«
Luis stellte dem Mann eine Frage auf Maya. Er entgegnete irgendwas.
»Er sieht uns nur zu«, übersetzte Luis. »Uns zuzusehen ist auch neu für ihn.«
»Was ist neu? Wir?«
»Selbstverständlich. Fremde Leute aus anderen Ländern sind neu für ihn.«
Wir wanderten weiter in Richtung Wespennest. Ich konnte es hören, noch bevor ich es
sah. Es klang, als befänden sich Tausende Wespen darin, aber Luis versicherte mir, es wä-
ren nur ein paar Hundert. Trotzdem machte ich mir Sorgen. Aber nichtsdestotrotz wollte
ich das Wespennest für Luis' Onkel herunterholen. Ich stellte mich also auf ein altes Stein-
mäuerchen und streckte mich, so weit ich konnte, um den Ast abzuschlagen, an dem das
Nest befestigt war. Es hatte ungefähr die Größe eines Basketballs. Gerade als ich kurz da-
vor war, es zu erwischen, gab die Mauer unter mir nach, und ich stürzte mit dem sechs
Meter langen Stab mit Klinge kopfüber auf den Boden. Luis' Onkel übernahm das Kom-
mando. Er kletterte den Baum hinauf, richtig nah an das Nest heran, bevor er es einfach
mit der Klinge abtrennte. Er versuchte, mich zu beschwichtigen, indem er behauptete, dass
Wespen immer himmelwärts flögen. Er klang eigentlich ganz überzeugend, aber ich ver-
lasse mich nicht gern auf solche Aussagen. Immerhin würden auch nur zehn, zwanzig wild
gewordene Wespen ausreichen, die es satthatten, ihr Nest ständig zu verlieren, und ich wäre
erledigt. Ich erzählte ihm von dem Film My Girl mit Macaulay Culkin, der an einem Bie-
nenstich stirbt, nachdem er das Bienennest beschädigt hat. Keiner von ihnen hatte den Film
je gesehen. Vielleicht sollte man lieber mit diesem Film anfangen, und nicht dem zweiten
Teil von Stirb langsam.
Luis' Onkel schnappte sich das Nest, und wie sie es vorausgesagt hatten, war es mitt-
lerweile leer. Dann sollte ich ein bisschen Wespenhonig probieren. Der Honig schmeckte
wirklich gut. Das Nest nahmen wir mit zurück in die Hütte, wo die Familie es komplett
auseinandernahm: Luis' Onkel, zwei dicke Frauen, eine Oma und ungefähr fünf Kinder -
alle in ein und derselben Hütte. Außerdem musste ich einen Tortillawrap mit Wespenlarven
probieren. Was in aller Welt tue ich hier eigentlich? Bevor ich nach Mexiko kam, hatte ich
nie das Bedürfnis, Insekten zu essen, und jetzt futtere ich sie schon, noch ehe sie überhaupt
das Licht der Welt erblicken.
Im Gegenzug bot ich ihnen mein Knabberzeug und ein KitKat an. Es schien ihnen zu
schmecken. Irgendwie glaube ich, dass sie den besseren Deal gemacht haben.
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