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wird; im schlimmsten Fall als ein Verbrechen. Nicht jede Form der Zensur ist
jedoch grundsätzlich ein Übel, etwa solche nicht, mit der Straftaten ver-
hindert oder aufgedeckt werden können.
Über die Reichweite und den »Umfang« dessen, was in unserer Kultur und
unserem Denken durch die Schrift und alles, was daraus folgte, geprägt ist,
gibt es sehr unterschiedliche Aufassungen. Auf der einen Seite stehen
Medienphilosophen wie Marshall McLuhan, der Entwicklungen der
abendländischen Moderne wie Individualismus, Demokratie, Protestantis-
mus, Kapitalismus oder Nationalismus mit dem Buchdruck und seiner
Tendenz zur Visualität in Verbindung bringt. 119 Eine Gegenposition vertritt
Michael Giesecke. Er ist der Meinung, dass in vielen derartig
weitreichenden Analysen eher eine mythologische Aufassung von
Schriftkultur am Wirken ist. 120 Einer dieser Mythen sei es, dass Kulturna-
tionen nur durch »die Gleichschaltung der Köpfe mithilfe gedruckter Büch-
er« entstünden. Ein anderer Mythos sei der, dass sich Geschichte »als Akku-
mulationsprozess, nicht als Wiederholung und als Vernichtung« vollziehe,
also als eine Art Bibliothek der menschlichen Erfahrungen. Und schließlich
unterliege die ganze Buchkultur dem Irrtum, dass sich kulturelle Meinungs-
bildung als »das Werk von Massenmedien« entwickle. Die Bilanz der Buch-
kultur fällt für ihn insgesamt ambivalent aus, sie entwickle zwar gewisse
sprachlich-rationale Kompetenzen, vernachlässige aber zugleich die intuit-
ive, interaktive, nicht in Gegensätzen denkende und auf soziales Miteinan-
der und Umwelt ausgerichtete Seite des Menschen. 121 Wie auch immer man
die Schriftkultur, wie sie sich vor dem Beginn der Digitalisierung entfalten
konnte, bewerten mag, so haben wir doch gesehen, dass sie sich in In-
frastrukturen und Institutionen manifestiert, die bei der Bewältigung ihrer
Aufgaben verschiedene Aufassungen und Konzepte hervorbringen, die
menschliche Sichtweisen und Verhaltensmuster zumindest zu beeinlussen
erlauben. Vielleicht prägen sie uns auch oder, genauer gesagt, vielleicht
haben sie uns geprägt, denn all das, all die Infrastrukturen und Institution-
en, die in der Kultur der sichtbaren Schrift entstanden sind, stehen mit der
Digitalisierung von Schrift zur Disposition.
 
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