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Das digitale Lesen wird übrigens auch durch die Digitalisierung selbst
bedrängt. Anstatt einen Text zu lesen, kann man ihn sehr leicht kopieren
und so speichern, dass er überall verfügbar ist. Die Verfügbarkeit aber lässt
das Lesen als weniger notwendig erscheinen. Gespeicherte Texte sind noch
keine gelesenen Texte und werden es oft auch nicht mehr. Die Automatisier-
ung des Lesens kann den Leseprozess vereinfachen, aber auch dazu führen,
dass bestimmte Lesetechniken nicht mehr vollzogen werden: Das Lesen in
der Fremdsprache wird durch Übersetzungsprogramme überlüssig, die Ver-
tiefung in einen längeren Text durch die Lektüre einer automatisch generier-
ten Zusammenfassung ersetzt.
Multimedial erweiterte Texte erzwingen eine Abkehr vom linearen Lesen -
auch wenn hier Informationen auf eine andere, zuweilen leichter aufzun-
ehmende Weise vermittelt werden, ist damit die Grundlage für das Verständ-
nis komplexer Argumentationen, wie sie nur sprachlich ausgedrückt werden
können, angegrifen. Und die Fähigkeit, einen anderen Text über das gleiche
Lesegerät in Bruchteilen einer Sekunde auf das Display zu bekommen, er-
höht zwar die Wahlmöglichkeiten für den Leser, senkt aber auch die Hürde,
zu anderen Texten überzugehen, etwas sofort nachzuschlagen und dadurch
den Ausgangstext mit seinen eigenen intellektuellen Anforderungen zu ver-
nachlässigen. Erst recht geschieht dies, wenn über das Lesegerät auch noch
kommuniziert wird, wenn E-Mails gelesen und geschrieben, Kommentare
oder Status-Einträge erstellt werden, wenn man nicht mehr allein ist beim
Lesen, sondern Teil einer sozialen Wolke, die einen ständig umgibt und kom-
munikativ fordert.
Wie sich dies langfristig bei Kindern und Jugendlichen auswirken wird, die
nichts anderes kennen, wissen wir noch nicht. Wir wissen jedoch, dass das
Lesen schon heute für sie nur ein kleiner Teil eines medialen Komplexes ist,
der durch eine Vielzahl elektronischer Geräte gekennzeichnet ist. In der
jährlich durchgeführten JIM -Studie 248 des Medienpädagogischen
Forschungsverbundes Südwest zur Mediennutzung von Jugendlichen ist für
das Jahr 2012 festgestellt worden, dass die Altersgruppe der 12- bis
19-Jährigen vollständig vom Computer durchdrungen ist, und nahezu alle Ju-
gendlichen dieser Altersgruppe ein Handy oder ein Smartphone besitzen.
Das Lesen von Büchern, Zeitschriften und Zeitungen beindet sich in krasser
Konkurrenz zu digitalen, meist multimedialen Medienangeboten. Das di-
gitale Lesen von Schriftprodukten ist zwar auf dem Vormarsch, jedoch bis-
 
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