Information Technology Reference
In-Depth Information
Um ihr Prestige zu steigern, erweiterten die Städte ihre
Kirchenuhren um zusätzliche technische Neuerungen, um ih-
nen so einen spektakulären Aspekt zu verleihen. Aus den Kir-
chenuhren wurden astronomische Uhren. Straßburg gehörte
durch den zwischen 1352 und 1354 erfolgten Bau der soge-
nannten Dreikönigsuhr (s. Abb. 5.1 ) zu den ersten Städten, die
eine solche Errungenschaft besaßen. Die Legende behauptet,
dass dem Uhrmacher der astronomischen Uhr nach der Voll-
endung seines Werks auf Befehl der hohen Beamtenschaft
der Stadt, die danach trachtete, ihn zu hindern, andernorts ein
ebensolches Meisterwerk zu schaffen, die Augen ausgesto-
chen worden seien. Ähnlich lautende Geschichten existieren
auch für andere astronomische Uhren, wie z. B. Olmütz (ca.
1422), Danzig (ca. 1470), Münster (1542), Lübeck (1566)
oder Lyon (1598). Wenn auch diese Legenden kein Fünk-
chen Wahrheit enthalten, so offenbaren sie doch den Stolz der
Straßburger auf den Besitz eines Werks, das in der damaligen
Zeit zu den großen Wundern zählte.
Die astronomischen Uhren erfüllten in der damaligen Zeit
für das kirchliche und öffentliche Leben vielseitige Zwecke.
Es konnten Jahr, Monat, Tag, Wochentag und Mondphasen
abgelesen sowie die Tagesheiligen ermittelt werden. Der auf
der Uhr dargestellte Horizont ermöglichte es, die Auf- und
Untergangszeiten für Sonne, Mond, Planeten und Fixsterne
zu bestimmen. Damit lieferten sie die Grunddaten für astro-
logische Berechnungen und Prophezeiungen, wie sie damals
weit verbreitet waren und durch die sich viele Menschen in
ihrem täglichen Tun beeinlussen ließen. Man muss sich vor
Augen halten, dass damals niemand über eine eigene Uhr
oder einen eigenen Kalender verfügte. Somit bestimmte der
Blick auf die weit sichtbare Turmuhr bzw. ihr viertelstündi-
ger Klang den täglichen Rhythmus. Der Kalender vermittelte
Kenntnisse über den Ablauf des Kirchenjahrs mit seinen Fei-
ertagen. Aber ebenso waren die Bürger auch von der künst-
lerischen Pracht und dem Glockenspiel fasziniert.
Gute Uhrmacher für Kirchenuhren waren berühmt. Sie
mussten über umfangreiche Kenntnisse auf vielen Gebieten
verfügen: z. B. über metallurgische, technische, mathemati-
sche und astronomische Kenntnisse. Wie genealogische Un-
tersuchungen zeigen, standen viele der damaligen Schöpfer
von astronomischen Uhren am Beginn wahrer Uhrmacher-
dynastien.
Heute liefern uns die astronomischen Uhren ein ziemlich
genaues Bild über den Kosmos, die Zeitmessung sowie über
die technologischen Fähigkeiten von der Mitte des 14. Jahr-
hunderts bis hin zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie spie-
geln das theoretische, ästhetische und naturwissenschaftliche
Wissen und Können der jeweiligen Epoche wieder. Jede Uhr
ist ein Archiv, in dem die gesamte Technologie ihrer Zeit in
zahlreichen unterschiedlichen Bereichen dokumentiert ist.
Im technologischen Bereich sind dies insbesondere die zu-
nehmenden Erkenntnisse über Schmiedetechniken, Drehen,
Fräsen, Materialbeanspruchung, Formung und Berechnung
von Zahnrädern, Härten von Metallen und deren sonstigen
physikalischen Eigenschaften. Insbesondere das Streben nach
immer größerer Genauigkeit führte zu systematischen Unter-
suchungen und immer neuen Erkenntnissen.
Auch die Veränderungen unseres Weltbilds lassen sich
deutlich an den verschiedenen Kirchenuhren ablesen. Auf das
geozentrische System des Ptolemäus, das von ca. 150 v. Chr.
an Gültigkeit hatte, folgte das heliozentrische Weltbild des
Sonnensystems, das von Kopernikus vorgestellt und Dank der
Beobachtungen des Dänen Tycho Braches, den Berechnungen
Kepplers, Descartes und Newtons sowie den Beobachtungen
von Lagrange und Laplace erhärtet und verfeinert wurde.
Die hier gesammelten und gewonnenen technologischen
Erkenntnisse waren Wegbereiter für weitere Entwicklungen
im Bereich der Automaten. Sie ermöglichten erst die Ent-
wicklung handlicher mechanischer Rechenautomaten bzw.
z. B. auch der bahnbrechenden Arbeiten von Charles Bab-
bage. Die in die Uhren integrierten Automaten, wie bewegli-
Abb. 5.1 Außenansicht der heutigen astronomischen Uhr des Müns-
ters zu Straßburg
 
 
Search WWH ::




Custom Search