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kritisch reflektierenden Fragen durch die neuen Geomedien keineswegs obsolet
sind, zumindest nicht theoretisch. Denn, wie oben anhand der Grammatik der
Weltdeutung argumentiert, die Selektivität und Gerichtetheit der angebotenen
Bildinformation ändert sich nicht dadurch, dass nunmehr alle Sehenden auch
Gestalter sind bzw. sein können. Die Freiheit der Gestaltung ist nach wie vor
eingeschränkt. Praktisch laufen solcherart kritische Fragen aber im Bewusstsein
des kollektiven Machens Gefahr, ins Leere zu laufen.
Eine weitere verborgene Selektivität im web2.0 erschließt sich mit der Frage,
wer denn „alle“ diese Menschen sind, von denen in Bezug auf die neuen partizi-
pativen Möglichkeiten gesprochen wird. Es ist wie in jedem gesellschaftlichen
Segment davon auszugehen, dass hier Ex- und Inklusion sowie Segregation
vorherrschen, die durch die prinzipielle Zugänglichkeit des Mediums allerdings
kaschiert werden. Untersuchungen zu den sozialen Hintergründen der Nutzer
oder einer bestimmten „community“ im Netz gibt es kaum. Zunächst ist der
Zugang natürlich durch die Ressource Computer limitiert sowie dessen Leis-
tungsfähigkeit. Dazu benötigt man eine Internetverbindung, die - in welcher
Form auch immer - Geld kostet. Allgemeine Internetkompetenz ist vonnöten -
bei vielen älteren Menschen ist dies eine unüberwindbare Hürde, aber auch in
Bezug auf die Anwendungssprachen sind hier Ausschlüsse möglich. In einer
speziellen community werden dann wiederum verschiedene Kompetenzen benö-
tigt. Für OpenStreetMap z. B. müssen vor Ort oder aus Satellitenbildern Daten
erhoben und übertragen werden. Auch dies kann nicht jeder, aber, auch dies ist
entscheidend, will auch nicht jeder. Gleichzeitig werden in den communities
klare Grenzen gezogen. Im OpenStreetMapper Forum zeigt sich zum Beispiel
die Distinktion zwischen den „Mappern“ und den „Leuten“, die nicht beteiligt
oder gar gegen die Kartierungsaktivitäten sind. Die werden als „paranoide Fens-
terbankhocker“ bezeichnet, lästige Menschen, die schnell mal die Polizei rufen
und damit das Projekt aufhalten oder gar gefährden (FOSSGIS e.V. 2012b, o.S.).
Und auch die Prosumenten-Gemeinschaft selbst ist keineswegs flach hierar-
chisch, es herrschen Deutungskämpfe, die oft von denen entschieden werden, die
über die größten technischen Fähigkeiten und Mittel und nicht zuletzt über Onli-
ne-Zeit verfügen. Ihre Produkte schaffen Standards, die anderer Produtzer Limi-
tierung sind.
Und so muss doch bei jedem der Produkte die - oftmals nicht zu beantwor-
tende - Frage gestellt werden, wer bei deren Produktion beteiligt war, oder stär-
ker, wer dafür verantwortlich zeichnet (denn vormals war dies über die Verlage
zumeist sehr klar geregelt und gekennzeichnet). „Alle“ sind es jedenfalls sicher-
lich nicht und die personifizierende Rede von „dem Internet“ (oder auch web2.0)
ist irreführend bis verschleiernd. Genauso irreführend ist die Figur des Prosu-
menten, denn es ist anzunehmen, dass - je nach angebotenem Produkt - viele
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