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aber Kontingenz, Komplexität und Ambiguität der subjektiven Wahrnehmung
auch einschränkt (vgl. Felgenhauer et al. 2005). Dieser Horizont strukturiert,
ordnet und bewertet das Gesehene auf der Basis von bereits Gesehenem. „Auch
dort, wo wir vitale Spontaneität vermuten, liegt Kultur, Konvention, System,
Code und damit Ideologie vor“ bemerkt Eco (1972: 82; vgl. Bourdieu 1974: 162
zum „Mythos vom ‚reinen Auge'“). Fleck zieht hier die Grenze zwischen Sehen
und Schauen: „Wir schauen mit den eigenen Augen, aber wir sehen mit den
Augen des Kollektivs“ (Fleck 1947/1983: 157 in Müller 2003: 151). Müller und
Backhaus (2007:12) haben für die institutionalisierten Sichtweisen den Begriff
der „sozialen Bilder“ eingeführt. Auch die neuen Karten und die so genannten
„Counter Maps“, den herrschenden Kartierungen inhaltlich entgegengesetzte
Karten, sind in dieser Hinsicht soziale Bilder, brechen nicht, zumindest nicht
vollständig mit herrschenden Sehgewohnheiten. Andersherum betrachtet müssen
die Produkte aber Sehgewohnheiten auch bedienen, wenn sie eingängig, ohne
Weiteres verständlich und damit konkurrenzfähig sein wollen. Dies gilt es, bei
der kritischen Arbeit mit Karten im web2.0 trotz aller Nutzerbeteiligung im Sin-
ne der Prosumtion in Rechnung zu stellen.
Die enthusiastischen Stimmen zum web2.0 beziehen sich oftmals auf die Fi-
gur des Prosumenten bzw. auf die Doppelrolle des Produtzers, und damit primär
auf die Tatsache, dass Nutzer nun nicht mehr nehmen müssen, was geboten wird,
sondern selbst die Produkte mit erzeugen und gestalten können (Bruns 2008). Sie
werden im web2.0 von Interpreten zu Autoren in einem nie endenden Prozess
des Machens. Daran anschließend ist zu fragen, wie sich diese Transformation
auswirkt auf die Praxis der Interpretation und - damit verbunden - der Sinnaus-
legung und deren kritischer Verhandlung. Anders gefragt: Besteht nicht im Zuge
der Erzeugung unendlich vieler Texte in Blogs, Foren und Chats die Gefahr
einer Überbetonung der Produktion zulasten der Reflexion?
In Bezug auf das Karten-Machen äußert sich diese Gefahr in der Überbeto-
nung des technisch Machbaren. Kommunikation verlagert sich hier vielfach auf
die notwendigen technischen „skills“, hierzu gibt es eigene Foren und „sup-
ports“. Unterschwellig kann sich daraus in Bezug auf die Vision des spatial citi-
zenship folgender Kurzschluss ergeben: Wenn nur alle Nutzer kompetent die
Technik bedienen können, haben wir eine mündige Raumaneignung. Reflektori-
sche Anliegen (wir machen Raum alltäglich selbst, das haben wir gelernt, aber
wie machen wir ihn und warum machen wir ihn so?) verschwinden da schnell
aus dem Blickfeld. Kritisch-reflexive Fragen wie die, woher eigentlich die er-
stellten und angebotenen Informationen kommen, welchen Logiken sie unterlie-
gen und welche der vielen möglichen Repräsentationen sich durchsetzen (und
warum), geraten bei starker Zentrierung auf die technischen Kompetenzen und
Machbarkeiten schnell wieder ins Hintertreffen. Das ist fatal, gerade weil diese
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