Geography Reference
In-Depth Information
die Beschaffenheit des Trägers determiniert: Schrift lässt sich auf Stein ebenso
realisieren wie auf Papyrus oder Pergament. Das Bezeichnende für die Medien-
geschichte ist daher, dass mit neuen Medien alte mediale Formen keineswegs
obsolet werden; vielmehr können Medienform und Medium als Träger in räum-
licher Hinsicht unterschiedlich kombiniert sein; wodurch es auch zu Rückschrit-
ten oder Rückgriffen kommt.
Derartige Rückgriffe auf alte Medien sind zumeist im Kontext von Archivie-
rungsbemühungen anzutreffen: Ein bezeichnender Fall ist die Praxis der griechi-
schen Stadtstaaten, wo zur Niederschrift von Gesetzen zunächst Ton- oder Holz-
tafeln verwendet wurden, die gegenüber Steintafeln leichter zu bewegen waren.
Der Raum, dem sie angehörten und den sie mit konstituierten, war bis ins fünfte
vorchristliche Jahrhundert hinein ein Verbund von Orten, die zyklisch durchlau-
fen wurden. Es handelte sich dabei um die Häuser der Gesetzeshüter oder Ar-
chonten, bei denen die Gesetze für die Dauer der Amtszeit sozusagen zu Gast
waren, bevor sie an das nächste Haus weitergereicht wurden. Erst als die Gesetze
mit dem vierten Jahrhundert dauerhaft in das Buleuterion, das Rathaus von
Athen, verbracht wurden und in einer separaten Kammer dauerhaft lagerten,
wurde beständigerer, aber immobiler Stein verwendet. Damit entstand das, was
mit Jaques Derrida (1991) in Anlehnung an Walter Benjamin die ‚Gesetzeskraft'
des Archivs genannt werden kann: als die Macht, welche von diesem Ort aus-
geht. Schrift wird dabei jedoch nicht hinsichtlich ihrer Medialität immobil -
dieser Raum bleibt gänzlich unangetastet −, sondern hinsichtlich des Mediums,
konkret: hinsichtlich seines Trägers. Was sich ändert, ist hingegen der durch das
Medium als Informationsträger bedingte Raum, der dann als Gegengewicht zum
öffentlichen Raum der Agora wirkt.
An diesem Beispiel des antiken Archivs lässt sich demonstrieren, dass eine
geschichtliche Rekonstruktion der Medienkultur sich nicht unbedingt an eine
Heuristik der zunehmenden Beschleunigung halten muss. Die weitergehende
These lautet daher, dass eine Geschichte der Medienumbrüche auch die jeweili-
gen Praktiken berücksichtigen muss und nicht allein die technischen Gegeben-
heiten. Im Gegensatz dazu gehen Kultur- und Medientheorien, wie diejenige
Paul Virilios (1983), von einer grundsätzlichen Beschleunigung aus und prokla-
mieren eine Tilgung des Raums. Abgesehen wird in einer solchen Diagnose
nicht nur von der medialen Differenz und der doppelten Räumlichkeit, sondern
auch von der jeweiligen Nutzung. Ein solcher Nutzungsaspekt ist eben die Ar-
chivierung. Diese Art der Nutzung liegt etwa im Permanent Visual Archive des
‚Imaging & Media Lab' der Universität Basel vor. Hierbei wird das alte Medium
des Mikrofilms zur Archivierung von Ton, Bild und Text, aber auch von Websi-
tes genutzt, deren Code in einer vom Menschen nicht lesbaren Struktur aus
Null/Eins-Informationen gespeichert wird. Das medienhistorisch Besondere ist
Search WWH ::




Custom Search