Geography Reference
In-Depth Information
Anregung zu diesem Vorgehen findet sich in Michel Foucaults (2005) einschlä-
gigem Essay Von anderen Räumen , worin das Lichtspielhaus als eine exemplari-
sche Heterotropie angeführt wird, in der ein Rezipient sich an zwei Orten zu-
gleich aufhielte; was davon zeugt, dass auch Foucault die Wirkung von Medien
über ihren Raumbezug und im Besonderen über ihre Lokativität denkt.
Die Betrachter sind nach Foucault nämlich nicht nur im Kino, sondern auch
im Film. Die Unterschiede zwischen beiden überlappenden Topoi könnten nicht
größer sein: Der eine Ort ist dunkel, der andere ist hell; der eine Ort ist hier, der
andere ist dort. Doch auch wenn die Beschreibung Foucaults verfängt, so geht es
in der avisierten Unterscheidung zunächst noch um etwas anderes: Die Räum-
lichkeit auf der Ebene der Medialität (also des Filmbildes) besteht ja nicht in
erster Linie in dem, was Foucault als Ort hervorhebt; darin also, dass der Be-
trachter im Kino ein reales oder fiktives ‚Dort' (wie etwa New York oder Mittel-
erde) gezeigt bekommt, sondern die Medialität des Films besteht vor allem darin,
dass der Betrachter einen kontinuierlichen (bisweilen auch diskontinuierlichen)
Raum vor sich sieht: Dies ist der von dem französischen Filmtheoretiker Étienne
Souriau (1997) bereits so bezeichnete diegetische Raum, der nicht mit dem dar-
gestellten oder repräsentierten Ort im Bild identisch ist. Denn der ‚Erzählraum'
des Films ist in erster Linie durch die Form der Präsentation bestimmt: also die
Blickwinkel und Bildanschlüsse. (So etwa, wenn New York oder Mittelerde aus
der Vogelperspektive und im Überflug gezeigt werden.)
Auch wenn der Unterschied zwischen der Räumlichkeit des Mediums (Ki-
nosaal) und der Räumlichkeit der Medialität (Kameraperspektive als Form) am
Filmbild deutlich gemacht werden kann, so kann dieser Unterschied bereits an
früheren Kulturtechniken aufgezeigt werden. Um an die Schrift zu denken, so
gibt es auch hier einen Unterschied zwischen dem Raum, den das Medium als
Träger von Information einnimmt, und dem Raum, der als dessen präsentierende
Form wahrnehmbar ist (die nicht mit dem repräsentierten Inhalt des Textes iden-
tisch ist).
Der Unterschied zeigt sich deutlich an Steintafeln: Während der Träger der
Schriftzeichen weitgehend immobil ist, ist die Form, in der Schriftzeichen wahr-
genommen werden, dagegen mobil. Das heißt: Im Lesen wird ein anderer Raum
konstituiert, als derjenige, den der Träger einnimmt: Der Vermittlungsraum der
Schrift verläuft in Linien von links nach rechts (oder umgekehrt) und in Zeilen
von oben nach unten oder auch gleich in Spalten.
Auf die mannigfachen Möglichkeiten, wie Schrift solcherart Raum definieren
kann, hat bereits Jay Bolter (2008) in seinem Buch Writing Space hingewiesen,
wenn er angesichts von Hypertextstrukturen betont, dass Text nicht erst im Zeit-
alter des Cyberspace räumlich wurde, sondern immer schon räumlich war. Der
Raum des Textes ist in seiner zumeist linearen Form dabei nicht gänzlich durch
Search WWH ::




Custom Search