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chen, die ein Muster ergeben, das man zurückberechnen kann. Nach der geodäti-
schen Entzerrung der ptolemäischen Koordinaten ergeben die germanischen
Ortsangaben nun wieder einen Sinn: Sie liegen oft dort, wo heute große Städte
liegen. Überraschend zeigt sich: Städte wie Jena, Eisenach, Leipzig und Dresden
waren schon zu Zeiten der Römer besiedelt. Städte wie Braunschweig, Hanno-
ver, Hamburg und Essen sind wahrscheinlich bis zu 1000 Jahre älter, als bisher
gedacht - vorausgesetzt, die antike Besiedelung war nicht unterbrochen.
Es ist also weniger die These interessant, dass es schon von jeher eine Neo-
geographie gab, sondern vielmehr, dass sich in den letzten Jahren ein gesell-
schaftliches und wissenschaftstheoretisches Bewusstsein etabliert hat, dass Neo-
kartographie als eine bedeutsame Kulturtechnik ansieht. Nur von diesem Hinter-
grund konnte es möglich sein, auch die Kartographiegeschichte anders zu den-
ken, wie Kleineberg et al. (2010) belegen.
Zu diesem neuen kartographischen Bewusstsein gehört, und das kann man
aus diesem Beispiel lernen:
1. dass man Datensammlung, -anreicherung und -visualisierung als einen
komplexen interdependenten Prozess anerkennen muss - denn nur so
konnten die systematischen Mess- und Übertragungsfehler Ptolemäus'
entdeckt werden.
2. dass man auch in der geovisuellen Analyse und Theoriebildung interdis-
ziplinär vorgehen muss - denn auch die Analysegegenstände entstehen
immerwährend und immerfort in Kollaboration.
3. dass die entstehenden „Map Mashups“ (Crampton 2010), die den Ur-
sprung ihrer Genese nicht mehr verraten. Das gilt nicht nur für die zahl-
reichen griechischen Abschriften der Geographia , dessen Original ebenso
wenig existiert wie die zeitgenössischen Informationsquellen des Pto-
lemy, sondern auch für die heutigen Google Maps Mashups. Für die
Mappae mundi gab es kein piktorales Original. Ptolemäus gab lediglich
schriftliche Anleitungen zur Anfertigung von Karten und erstellte Tabel-
len, welche die Koordinaten von insgesamt circa 8000 Orten enthielten,
zeichnete bis auf wenige grobe Skizzen aber keine Karten selbst. Spätere
Kompilatoren fertigten unter seinem Namen ‚Geographien' an, die im
Laufe der Jahrhunderte durch verschiedene handgezeichnete Karten er-
gänzt wurden. Die Kopisten ptolemäischer Karten griffen somit immer
auf einen ‚Quellcode' zurück.
‚Softwareisierung' führt somit nicht zu einer Medienkonvergenz, etwa in der
Form, dass ein Medium ein anderes repräsentiert oder ein Medieninhalt auf einen
anderen überlagert (gelayert) werden kann, wie dies die geographische Interpre-
tation der Remediation-Theorie Bolter/Grusins (1999) nahe legt. Stattdessen
werden Techniken zur Inhaltsproduktion in den Medien und die Interfaces für
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