Geography Reference
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Mehr noch: Aus den situativen und praxeologischen Zusammenhängen von
Karten, Territorien und Medien(-inhalten) wird von November, Camacho-
Hübner und Latour (2010) eine vollkommen neue Geographie-Vorstellung ein-
gefordert, die die Differenz von Physischer und Human-Geographie obsolet
erscheinen lässt: 1
„The real difference is not between ‚physical' and ‚human' geography but between taking a map
mimetically (in which case it does create a difference between human and nonhuman) and taking a
map navigationally (in which case there is no relevant difference between the two).“ (November et al.
2010: 595)
Insbesondere die digitale Kartographie und die mit ihr verbundenen neuen Prak-
tiken des „Geobrowsings“ (Peuquet/Kraak 2002: 80ff) rücken den navigatori-
schen Kartengebrauch in den Mittelpunkt und lassen die Differenz zwischen
Karte und Territorium als reines Vermittlungsproblem betrachten. Beide materi-
ellen Gewissheiten sind Teil eines Kontinuums und die Papierkarte sei dabei nur
eine Option der Datenausgabe.
Das Mittelbare der Medien steht damit im Vordergrund der gegenwärtigen
medienwissenschaftlichen und kulturgeographischen Diskussion. Latours Ansatz
zielt auf eine navigatorische ‚Gleichschaltung' von Karte und Territorium, was
einer logischen Folgerung seines praxeologischen Medienverständnisses ent-
spricht, in dem Medien nur als Mittler zwischen zwei Polen existent sind: dem
Territorium als Beginn und der Karte als vorläufigem Ende einer geodätischen
Transformations- und Übersetzungskette.
Vor allem digitale Technologien hätten unser Mapping-Verständnis in der
Weise rekonfiguriert, dass die mimetische Interpretation von digitalen Karten
hinter die navigatorische zurücktrete. Dies habe nicht nur mit einer retrospek-
tiven Unterscheidung in mimetische und navigatorische Nutzung von Google
Earth zu tun, sondern mit dem ontologischen Status der zugrundeliegenden Bil-
der, die nur Intermediäre in einer Kaskade von Inskriptionen sind. Nur wenn
man diese Kaskade unterbricht, so Latour, entsteht eine grundlegend andere Tra-
jektorie, ein isoliertes, mimetisches Bild, das einen „Scheinreferenten“ generiert:
ein Territorium.
Latour entwickelt sein ‚Neogeographie'-Verständnis primär entlang der Fra-
ge, welchen ontologischen Status ein Layer hat, der beispielsweise bei Google
Earth mit einem einfachen Mausklick einer Karte hinzugefügt oder entfernt wer-
den kann. Er stört sich vor allem an der Unterschiedlichkeit, mit der bestimmte
Informationen auf Karten untergebracht werden und andere nicht. Diese kritische
1 Nach Angaben von Valérie November stammen die Idee, der Erstentwurf und der Großteil des
letztlich veröffentlichten Aufsatzes von Bruno Latour.
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