Geography Reference
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Adressaten hervorzubringen. Karten beinhalten eine These über die Welt und
sind grundsätzlich propositional (Wood/Fels 2008). Sie verwenden stark konven-
tionalisierte rhetorische Mittel der Darstellung, seien es bestimmte Symbole,
Farben oder Auslassungen und berufen sich auf eine Autorität (z. B. staatliche
Vermessungsämter).
Damit wird auch die vielfach getroffene Unterscheidung zwischen wissen-
schaftlichen Karten und Propagandakarten aufgebrochen. Auch eine scheinbar
neutrale und unproblematische topographische Karte ist ein gesellschaftliches
Produkt, das Thesen über Relevantes und Irrelevantes enthält, sich auf Autoritä-
ten beruft und auf Entscheidungen beruht (Wood 1992b; Glasze 2009). Wenn
beispielsweise auf einer topographischen Karte vier unterschiedliche Signaturen
für baulich unterschiedliche christliche Kirchen möglich sind („Kirche“, „mit
zwei Türmen“, „große Kirche“, „Kapelle“), Gebetsräume anderer Religionen
aber nicht verzeichnet werden, so verweist dies deutlich auf gesellschaftliche
Normalitätsvorstellungen und Hierarchien, ohne dass den Topographischen Lan-
desämtern ein explizites Propagandainteresse zugeschrieben werden muss.
In frühen Arbeiten der Critical Cartography lag der Fokus auf einer kriti-
schen Geschichtsschreibung der Kartographie. Die Autoren beschäftigten sich
beispielsweise mit der Karte als Instrument der Verknüpfung kartographischen
Wissens mit der kolonialen Expansion Europas, als Medium des modernen Pro-
jekts der Organisation gesellschaftlicher Ordnung, als Instrument der Herstellung
von Nationen und Identitäten oder mit der Frage danach, was sichtbar und was
unsichtbar gemacht wird. Zudem wurden andere Formen des räumlichen und
kartographischen Denkens in den Blick genommen und so das Feld für nicht-
europäische und nicht-moderne Karten geöffnet (Cosgrove 2001; Driver 2001;
Crampton 2011; Edney 1997; Winichakul 1996; Harley 1992).
Im Kontext der Critical Cartography wird einerseits die Kartographie selbst
als ein spezifischer Diskurs mit eigenen Regelhaftigkeiten der Aussagenproduk-
tion zum Objekt einer kritischen Auseinandersetzung gemacht (Mose/Strüver
2009: 318). Ziel einer solchen Perspektive ist die Hinterfragung der „Ordnung
des kartographischen Diskurses“ (Mose/Strüver 2009: 324). Andererseits werden
Karten als Diskursfragmente innerhalb größerer Bedeutungszusammenhänge in
den Blick genommen - als eine spezifische Form von Text, die innerhalb von
Diskursen spezifische Funktionen übernehmen kann.
Seit Mitte der 1990er Jahre wird die Critical Cartography um die Perspektive
der Critical GIS (Kritische GIS) erweitert. Unter diesem Begriff werden Arbei-
ten geführt, welche die Debatten um Geographische Informationssysteme aus
einer rein technischen Betrachtung heraus lösen und dafür plädieren, deren ge-
sellschaftliche Implikationen sowie sozialtheoretische Grundlagen stärker zu
beachten (Pickles 1995; Schuurman 1999; Sheppard 2005). Während die Kritik
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