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Epochen
mehr), dass sie ohnehin meist verschiedene,
ja sogar gegensätzliche Architekturelemente
in sich vereinigen (von späteren Um-, An-
und Ausbauten ganz zu schweigen). Die
Romanik kam nicht, wie ihr Name vielleicht
nahe legt, aus Rom nach Mittelitalien, son-
dern aus Frankreich, und sie wurde in Pisa
und Lucca eher byzantinisiert, in Siena da-
gegen gotisiert . Und während die Renais-
sance noch die Rückkehr zur Harmonie der
Antike feierte und sich als größtmöglichen
Kontrast zur „barbarischen“ Gotik sah, berei-
teten ihre größten Künstler bereits den Aus-
bruch vor, wagten wieder Schmuck, Orna-
ment und landeten im Manierismus, der den
Barock ankündigte, gegen den die „über-
ladene“ Gotik beinahe wieder „klassisch“ an-
mutete.
Überblick
Weder Romanik noch Gotik waren
„Erfindungen“ der Italiener, aber was
sie daraus machten, war anders als al-
les, was man anderswo darunter ver-
stand. Die Romanik wurde inniger
durch die Nähe zu Rom, die Gotik
blieb bodenständiger, weniger him-
melstrebend. Dank der Seefahrerstäd-
te Venedig und Pisa vermischte sich
die Architektur schon ab 1050 mit Ein-
flüssen aus dem Orient (Byzanz, Jeru-
salem) und dem Islam und mit einer
neuen Sicht auf die Antike (Skulptur,
Säule, Portal, römische Palastarchitek-
tur). Von Pisa aus eroberte die mar-
morgestreifte Pisaner Romanik (Dom
in Kreuzform mit Kuppel) die gesamte
Toscana (lediglich Florenz schlug ei-
nen gewissen Sonderweg ein) und
vermählte sich ab etwa 1250 mit der
aus Norden kommenden Gotik. Mehr
als die Originalität und Kühnheit der
toscanischen Architekten überzeugten
die Handwerker, die den Bauwerken
Schmuckwerk und Ornament hinzu-
fügten und unter der Hand zu den ers-
ten Künstlern ihres Gewerbes wurden.
Nicht umsonst ist die typische Spezial-
ität der Italiener noch heute das De-
sign! Der besonders begabte „Dekora-
teur“ Nicola Pisano revolutionierte
die Bildhauerei, Giotto und Duccio
erschlossen der Malerei nie gesehene
Welten und Dimensionen (so wie
Dante, Petrarca und Boccaccio der
Dichtung und Literatur).
Mit der Renaissance erreichte die
toscanische Kunst ihren Kulminations-
Falsches Kontinuum, oder: der Schein
trügt. Gänge durch Kirchen und Museen
verfälschen, liefern ein schiefes Bild. Ohne
dass man dessen wirklich gewahr wird, über-
brückt man mit wenigen Schritten Jahrhun-
derte. Die Zeit schnurrt zu einem handlichen
Paket zusammen (auf Giotto folgt Masaccio
folgt Michelangelo). Tatsächlich trennen
Giotto (geb. 1265), Masaccio (1401) und Mi-
chelangelo (1475) mehr als 200 Jahre, das
sind nicht nur Generationen, das sind Wel-
ten. Brunelleschi und Donatello hielten die
Bauten ihrer Stadt (Baptisterium, San Minia-
to), die sie zum Vorbild der Renaissance er-
hoben, allen Ernstes für Werke der Antike,
dabei waren sie zum Zeitpunkt ihrer Geburt
kaum 300 Jahre alt.
Kontext/Background. Auch wenn sie auf
den ersten Blick wenig mit dem Thema zu
tun haben mögen, kann es manchmal hilf-
reich sein, sich zwei Daten vor Augen zu hal-
ten: 1492 und 1514. Im Klartext: Die (große)
Kunst der Toscana entstand sowohl vor der
Entdeckung Amerikas wie des copernicani-
schen Weltsystems. Noch Michelangelo
glaubte, die Erde sei eine Scheibe, um die
sich Sonne, Mond und Planeten drehen! Und
doch waren es auch gerade auf diesen Ge-
bieten Toscaner, die Geschichte machten:
Amerigo Vespucci, der Seefahrer aus dem
Chianti, nach dem die „Neue Welt“ benannt
wurde, und Galileo Galilei aus Pisa, der das
All erforschte.
 
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