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Arbeiterliteratur
Als ih in einem der vielen Büher, die ih über Shweden las, entdekte, dass die
Arbeiterliteratur seit den Dreißigerjahren den literarishen Stil shwedisher Shrit-
steller entsheidend geprägt und sogar zwei Nobelpreisträger hervorgebraht hat,
dämpte das meine Sympathien. Arbeiterliteratur hat für mih einen biteren Bei-
geshmak. Sie erinnert mih an dogmatishe Vorgaben einer sozialistishen Ideolo-
gie. Aber in Shweden wurden Shritsteller niht in volkseigene Kombinate
geshikt. Wenn sie das einfahe Leben und die Arbeitswelt besingen, hat das mehr
mit den Wurzeln der Gesellshat im Bauerntum zu tun als damit, die Klassenver-
hältnisse auf den Kopf zu stellen. Es hat mehr im janteshen Sinne damit zu tun, die
sozialen Klassen einander anzugleihen, als sie gegeneinander auszuspielen. Die
Philosophie von Jante ist im Grunde shon immer im Bauerntum verankert
gewesen. Man pries die Armut nah dem Moto: Lieber die Armut als Tugend
verklären, als zu beklagen, dass man niht reih geworden ist. Wenn alle arm sind,
ist das Armsein halb so shlimm. Carl Jonas Love Almqvist erklärte sie bereits im
frühen 19. Jahrhundert in seinem Essay »Die Bedeutung der shwedishen Armut«
zu einem Wesensmerkmal der Nation: Wenn man das, von dem am meisten
vorhanden ist, zur Tugend erklärt, haben alle teil an einer nationalen Gemeinshat.
Als das Bauerntum sih zwishen den beiden Weltkriegen rapide ins Indus-
triezeitalter hinein aulöste und die Grundlagen für den shwedishen Wohl-
fahrtsstaat geshafen wurden, wurde Arbeit zu einem zentralen hema. Sie galt als
das siherste Mitel, der Armut beizukommen, also wurde sie idealisiert. Kaum ein
anderes europäishes Land mit Ausnahme von Norwegen hat sih so spät und so
shnell industrialisiert und wurde ebenso ad hoc mit einer Arbeitermentalität kon-
frontiert, die es zuvor niht gegeben hate. Und da die Literatur immer auh ein
Sensorium für Vershiebungen, Veränderungen und Umbrühe in der Gesellshat
ist, entstand in den Dreißigerjahren ein Genre, das Aufsteigermentalitäten
shilderte, aber auh den Mangel heroisierte; das rehtlose Landarbeiter (Lo-Jo-
hannsson), Fabrikarbeiterinnen, unfreie Hausfrauen (Moa Martinson) und beruf-
stätige Frauen (Elin Wägner) beshrieb, und immer wieder entstanden Entwiklung-
sromane, die anhand der Kindheit und der Pubertät, meistens von Jungen, die
rasante Entwiklung der skandinavishen Gesellshat anshaulih mahten. Es
sheint kein Zufall zu sein, dass der Augustpreis, der höhstdotierte Literaturpreis
in Shweden, in den letzten Jahren mehrfah für eher traditionell erzählte
Adoleszenzshilderungen verliehen wurde.
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