Travel Reference
In-Depth Information
Zehn Jahre habe er gebrauht, um dieses Tor und seine eigene Reportage anzuneh-
men.
Er nimmt sih wihtig, dieser Mann. Weil ihm der Fußball wihtig ist. Und weil
ihm sein Beruf wihtig ist: Denn selbst wenn auh in Argentinien das Fernsehen den
Fußball immer mehr dominiert - an den Spieltagen wird mindestens so viel Fußball
gehört wie geshaut. An jeder Tankstelle hat einer ein Radio laufen, an jedem Zei-
tungskiosk, in jedem Pförtnerhäushen. Meistens Mitelwelle, meistens auf 590 kHz:
Radio Continental, Víctor Hugos Welle.
Heute aber ist Wohentag. In der Abendsendung gibt es keine Tore zu bejubeln
oder Rote Karten zu bemekern, es gibt nur ein paar Vereinstransfers und Kom-
mentare zur WM -Mannshat zu vermelden. »Wusstet ihr, dass bei der letzten Welt-
meistershat nur 15 Prozent der Mannshaten, die das erste Tor shossen, am Ende
verloren haben?«, fragt Morales ins Mikrofon. »Und wusstet ihr, dass das 1 : 0 das
häuigste Ergebnis war, in 25 Prozent aller Partien?« Ein Fußballstreber. Wenn er
so über das Spiel dieser Tage lamentiert, kneit Morales die Augen zu shwarzen
Strihen zusammen. Unter seiner zurükgegelten grauen Tolle erinnert er an einen
James Dean, der ein paar Jahrzehnte älter geworden wäre.
Relatores, »Erzähler«, heißen die Sportreporter in Südamerika. Es gibt im Großen
und Ganzen zwei Typen. Die einen mahen einen auf Stammtishbruder, feuern
ihren Verein vor dem Mikrofon an und spuken Kratausdrüke in den Äther, wenn
der andere an den Ball kommt. Víctor Hugo Morales führt die andere Fraktion an,
den Club der Balldihter: Wenn es im Stadion zu regnen beginnt, shildert Morales
den Hörern »einen santen Shauer, wie ein Vorspiel des Sommers«. Er zitiert Gedi-
hte und Liedtexte - trotzdem oder vielleiht auh gerade deswegen hören ihm die
Taxifahrer, die Pförtner und die Automehaniker zu. »Wenn man sih mit den shön-
en Dingen beshätigt, mit dem Leben von Komponisten, dann wird das Teil deines
persönlihen Gepäks - das kann ih natürlih niht ablegen, wenn ih Fußball kom-
mentiere. Aber alles, was meine Kultiviertheit bereihert, mein Leben mit Shönheit,
maht mih zu einem besseren Journalisten.«
Es ist neun Uhr, die Sendung ist jetzt vorbei. Morales setzt sih an den abges-
hrappten Shreibtish in seinem Büro, öfnet die Post und erklärt, was einen guten
Torshrei ausmaht. Seine ist die Vier-Phasen-Methode: Mit der Präzision eines Sh-
weizer Werkzeugmahers versuht er zu shildern, wer wie von wo zu wem spielt -
das alles in höhstem Tempo -, bis der Ball im Netz zappelt und der Hörer ein
trokenes, handkantenshlagkurzes »Tor« zu hören bekommt. Dann Lutholen und -
Search WWH ::




Custom Search