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Mit einem schwarzen Mercedes-Taxi, das in der Mitte rundum von einem dicken weißen Streifen um-
rahmt war, fuhren wir sodann nach Schönbrunn in den Tierpark. Mein Göd, der aufgrund seines fort-
geschrittenen Alters unter Atemnot litt, setzte sich, während wir Übrigen all die exotischen Tiere auf-
suchten undbesichtigten, hustend undkeuchend indasnebenstehende Gasthaus, umzutrinken undaus-
zuruhen. Anschließend ging es, wieder mit dem Taxi, in den Prater, wo wir im Gasthaus zum Walfisch
jedereinPariserSchnitzelaßen -etwasBesonderes,ohnePaniermehlnurmitEiundMehlgebratenund
vornehmer als das Wiener Schnitzel. Über dem Eingang zum Gasthaus thronte ein riesiger Walfisch mit
weit aufgerissenem Maul aus modelliertem, im Laufe der Zeit grün patiniertem Kupfer, der aus seinem
Kopf in großem Bogen einen dünnen Wasserstrahl in verschiedene Richtungen spie. Meine Großmutter
merkte es nicht gleich, und ehe sie sich in Acht nehmen und aus der Richtung des Wasserstrahls gehen
konnte, hatte der Strahl sie schon an der Schulter ihres hellgrünen Kleides mit dem schwarzen Kragen,
dessen Enden abgerundet waren, angespritzt.
In dem von alten Kastanienbäumen beschatteten Gastgarten waren fast alle der Tische mit ihren grün-
weiß karierten Tischdecken von Firmgästen besetzt; die Herren in festlich blauen und grauen Anzügen,
die Damen in schönen bunten Seidenkleidern. Am Tisch neben uns saßen zwei Firmlinge mit ihren Gö-
den und waren dabei, eine große gebratene Kalbshaxe mit Semmelknödeln und warmem Krautsalat zu
verzehren.DerGöddeseinen,dickundfeist,hatteeinrotes,aufgedunsenesGesicht,undbeijedemBiss
des Göden barst und krachte die knusprig braune Schwarte, und dann leckte er sich jedes Mal seine fet-
ten Finger ab, indem er sie ganz in den Mund steckte und mit einem genüsslichen Schmatzen wieder
herauszog. Zwischen den Bissen trank er Bier in langen Zügen, und wenn er das Glas wieder auf den
Tisch stellte, gab er ein lautes Rülpsen von sich. Die Kellnerinnen mit ihren grünen und roten, weit aus-
geschnittenen Dirndlkleidern, indenendievollenBrüsteaufundabwippten,liefenmitüppigbeladenen
schwerenTabletts,aufdenenzehnoderzwölfkalte,schwitzendeBierkrügemitdickgewölbtenSchaum-
kronenstanden,behändvonTischzuTischundsetztenmitGeklirrezweivolleKrügelaufdiegrün-weiß
karierte Tischdecke des Tisches mit dem kalbshaxenessenden feisten Göden mit dem rot aufgedunsenen
Gesicht.
Mein Göd, der im Gegensatz zu dem feisten Göden am Nebentisch ein feiner, eleganter Herr und Re-
gierungsrat im Ruhestand war, bestellte, nachdem wir unsere vornehmen Pariser Schnitzel mit gemisch-
tem Salat gegessen hatten, zum Nachtisch noch Vanilleeis mit heißer Schokoladensoße für uns. Bei der
zweiten großen Eiskugel, an der die dunkle Schokoladensoße dick und zähflüssig an allen Seiten herun-
terrann, erinnerte ich mich an mein Eisschlecken mit Vroni Millinger bei der Volksfesttombola in Ziers-
dorf, als ich ihre Benimmerziehung genossen hatte. Sechs Jahre war das nun etwa her. Nach dem Eis
war ich so satt wie schon lange nicht. Nie zuvor hatte ich so ein wohlschmeckendes Dessert gegessen.
NachdemEssenwischtesichmeinGödmitderServiettedenMundab,zogseineschwarzeAnzugsjacke
wieder an, strich mit zwei Fingern über seinen grauen, akkurat gestutzten Oberlippenbart, nahm eine
kleine Schachtel in die Hand und stand auf. Meine Großmutter mütterlicherseits flüsterte mir ins Ohr,
ich solle ebenfalls aufstehen, was ich auch tat. Mein Göd räusperte sich noch zweimal kurz, dann sagte
er mit feierlicher Stimme: „Lieber Rudolf, mein Firmling, als Erinnerung an diesen großen Tag möchte
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