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Auch meine Großmutter mütterlicherseits aus Petronell, die mir bei ihren Besuchen im Hundertseelen-
dorf immer kleine Tafeln Bensdorp-Schokolade in blauem Papier und Brausepulversackerln mit Auto-
bildern mitgebracht hatte und die ihren neuen Lebenspartner Karl mit Stricken und Schnüren fesselte,
wennerallzubetrunkeninsHauskam,warzumeinerFirmunggekommen -obwohlsiedaschonausder
Kirche ausgetreten war, was sich jedoch erst wenige Jahre später, bei ihrer Beerdigung, als ein Problem
herausstellen sollte. Meine Großmutter und meine Schwester, die ihre langen blonden Haare zu einem
modischen Pferdeschwanz gebunden hatte, während ihr ein kleiner Pony in die Stirn fiel, sahen heute
besonders hübsch aus. Ihren breiten, schön geformten Mund hatte meine Schwester von unserer Mut-
ter geerbt. Immer wieder zog sie die rotbraunen Ärmel ihres Kleides nach unten, damit man die Narben
nicht sehen konnte, die ihr leiblicher Vater, mein Stiefvater, ihr damals mit dem Lederriemen zugefügt
hatte, als sie (nachdem er uns mit den verbrannten, heißen, fettigen Schinkenstücken geschlagen hatte)
aus Angst vor ihm nach Petronell zur Großmutter geflüchtet war, die Polizei sie aber beim Umsteigen
auf dem Wiener Franz-Josefs-Bahnhof aufgegriffen und wieder zu ihren Eltern zurückgebracht hatte.
Meine Schwester saß mit meiner Großmutter bei den Angehörigen, gleich in der zweiten Reihe der Kir-
chenbänke, und Herr Schuller, mein Göd - also Firmpate -, ein Regierungsrat im Ruhestand, bei dem
meine Großmutter putzte und die Wäsche wusch, stand hinter mir. Meine Großmutter hatte ihn auch ge-
fragt, ob er mein Göd sein wolle, und jetzt sah ich ihn zum ersten Mal.
Vom Altar kam nun Erzbischof Franz König im goldenen Ornat herab zu uns in Reihen stehenden Firm-
lingen und begann damit, den Ersten zu segnen. Er hatte seine gold- und silberfarbene Mitra auf dem
Haupt, auf der in der Mitte eine strahlenumkränzte Taube gestickt war. Über seine Brust hing ein wun-
derschönes, funkelndes Kreuz, und in der Hand hielt er den goldenen Hirtenstab, der am oberen Ende
eingeringelt und mit einem kleinen Lamm besetzt war. Einen Firmling nach dem anderen segnete er so,
und als ich an die Reihe kam, war ich so aufgeregt, dass ich nur sein Brustkreuz mit dem gekreuzigten
Christus drauf sah, das genau in meiner Augenhöhe über die glitzernde Brokatkasel des Bischofs hing.
Den Kopf nach oben zu richten, um dem Erzbischof in die Augen zu sehen, getraute ich mich nicht.
Mein hinter mir stehender Göd, der Herr Regierungsrat Schuller, legte mir als Zeuge dafür, dass ich nun
gleich das Sakrament erhalten haben würde, welches meine Taufe bestätigt und bekräftigt, die Hand auf
die rechte Schulter. Dann legte mir der Erzbischof seine rechte Hand aufs Haupt und sagte: „Sei besie-
gelt durch die Gabe Gottes, den heiligen Geist“, machte mit dem Daumen, den er vorher in eine goldene
Schale mit geweihtem Salböl, dem Chrisam, getaucht hatte, ein Kreuzzeichen auf meine Stirn und gab
mir,bevorerzumnächstenFirmlingweiterging,aufdielinkeWangenocheinenleichtenBackenstreich,
einZeichenderKraftundStärkung,inetwaeinemRitterschlagvergleichbar.Nunwarauchicheinmün-
diger Christ.
Beim Verlassen des Doms ging eine spanische Frau vor mir; sie hatte ein dünnes weißes geklöppeltes
Tuch, das mit Spitzen umrandet war, über ihre pechschwarzen Haare gelegt und kniete nun bei jedem
Kreuz oder Heiligenbild an den Kirchenseiten nieder und schlug ein Kreuzzeichen, wodurch sie die auf
den Ausgang zueilende Menschenmenge gehörig ins Stocken brachte.
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