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Nach diesem Tag kamen die Zigeuner, die ich immer so aufregend gefunden hatte, nie mehr in unser
Dorf.
Im Gegensatz zu den Zigeunern war der „Gurkenmann“ bei den Dorfbewohnern sehr willkommen. Auf
seinem dreirädrigen kleinen Lastwagen hatte er nur Gurken, Paradeiser, Häuptelsalat und dergleichen.
Nur Gemüsesorten, die eine kurze Saison hatten. Er kam auch nur dann, wenn es bei uns diese Waren
im eigenen Garten noch nicht oder nicht mehr gab. Mit all den anderen Gemüsesorten waren die Bauern
Selbstversorger. Kartoffeln, Rüben, Zwiebeln, Getreide, alle Grundnahrungsmittel, hatte man selbst an-
gebaut und im Haus.
Wenn der Gurkenmann, um seine Waren anzupreisen, vor seinem dreirädrigen Auto stand, nahm er eine
Gurke, schnitt sie an, kostete, ob sie auch nicht bitter war, und aß dann selbst ein Stück - ohne Essig,
ohne Salz und ohne jedes andere Gewürz. Das erschien mir so ungewöhnlich, dass es mir in Mund und
Magen Widerwärtigkeitsgefühle verursachte.
Mit hämischem Lachen berichtete er von seiner
schweinebratenrettenden Heldentat
Meine Mutter ging in den Schuppen neben dem Plumpsklo mit dem großen und dem kleinen Loch und
holte das Herrenfahrrad heraus, auf dessen Stange sie mich gesetzt hatte, um mich zum Dr. Meinrath
nach Ziersdorf zu fahren, damit er mir das Geschwür auf der Innenseite des Ellbogens, in der soge-
nannten Fossa cubitalis, aufschnitt. Mit diesem Herrenfahrrad fuhr sie dann nach Gettsdorf, um aus der
genossenschaftlichen Gemeinschaftstiefkühltruhe, wowireineigenesKühlfachhatten,einenSchweine-
braten für das sonntägliche Mittagessen zu holen.
WieverhasstmirdieseSonntagsessendochimmernochwaren,beidenenmeinStiefvaterdieSuppelaut
schlürfte und beim Essen des fetten Schweinebratens schmatzte, während ihm das Fett aus dem Mund
und die Finger entlang lief! Für meine Mutter jedoch waren die Fahrten um Schweinebraten in das Ge-
nossenschaftstiefkühlhaus einer der wenigen Momente, die sie liebte. Dorf traf sie Nachbarn, mit denen
sie, von meinem Stiefvater unbeobachtet, reden und Neuigkeiten austauschen konnte.
Wann immer es möglich war, begleitete ich sie auf diesem Weg - meist auf der Stange des Herrenfahr-
rads. Stand daneben, wenn sie mit der Nachbarin redete, spürte ihre Ungezwungenheit und freute mich,
dass wir uns nun für kurze Zeit frei von den eisernen Klammern des Stiefvaters fühlen konnten.
Wieder zu Hause angekommen, legte sie das große Stück beinhart gefrorenen Schweinefleisches in eine
an den Rändern abgeschlagene graue Steingutschüssel und stellte sie auf den weiß lackierten Küchen-
tisch mit der abgestoßenen, grün gesprenkelten Resopalplatte, der neben dem Fenster stand, aus dem
mangenauaufdenMisthaufenimHofsehenkonnte.HinterdemTischdieebenfallsweißlackierteEck-
bank.DiegraueKatzeMirl,zudericheinbesondersgutesVerhältnis hatte,lag,wieregelmäßig fastden
ganzen Tag, in der Mitte der Eckbank auf einer ausgefransten Pferdedecke und wedelte in rhythmischen
Abständen mit dem Schwanz über die alte Rossdecke hin und her, als wolle sie den Platz hinter sich mit
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