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dass sie einen jungen Buben vor sich hatte, der all diese Vorgänge als fremd und abstoßend empfinden
musste. Vielleicht vergaß sie es aber auch nicht, sondern dachte eben gar nicht so weit und war einfach
begierig, einen Zuhörer zu finden, dem sie von ihrem horizontalen Eheglück berichten konnte. Ich in-
des wusste, dass ich schon mit dem Zuhören von derlei Dingen eine Sünde beging, und so bereitete ich
michbeimHörenihrerWorteimmerschonaufdieBeichtebeiPfarrerGregorBologniavor.Erwürdeda
wieder genau fragen und den exakten Wortlaut von mir wissen wollen und ich würde es nicht über die
Lippen bringen können. Wie viel Buße würde er mir wohl dieses Mal auferlegen, und wie viele Gebete
würde ich zu unserem Herrgott sprechen müssen, um wieder eine reine Seele zu bekommen?
Der alte Sandiger, der Schwiegervater von Irma, drehte sich seine Zigaretten normalerweise selbst mit
Tabak aus Eigenanbau und bündelte sie mit einem dünnen Spagatband zu etwa fünfzig Stück unter dem
schweren Holzbalken, der an der Decke seiner Kammer von links nach rechts ging und auf dem in der
Mitte mit weißer Kreide C+M+B geschrieben war - „Christus Mansionem Benedicat“, auf Deutsch:
Christus segne dieses Haus. Wenn er keine dieser Zigaretten mehr vorfand, bat er mich, welche zu orga-
nisieren. Sobald seine Schulden beim Greißler fünf Schilling überstiegen, gab es die Austria 3 nur noch
gegen Bargeld. Schwiegertochter Irma hatte in der weißen Kredenz neben der Eingangstür in der Küche
ihre Geldbörse versteckt, und zwar im oberen Fach zwischen einer Teedose und einem Andenkenbecher
ausMariaTaferl,derdasGnadenbildderheiligenMariaMuttergotteszeigte -Mariatrugeinemitvielen
Edelsteinen verzierte goldene Krone auf dem Haupt und über ihrem Schoß lag der tote Christus. Dieses
VersteckinderAnrichtekanntederAlte,undhier„lieh“ersichmanchmaldreiundzwanzigGroschen,so
viel kostete eine einzelne Austria 3. Dann bat er mich, mit den „geliehenen“ dreiundzwanzig Groschen
beim Greißler Knötler eine Zigarette zu kaufen und sie ihm zu bringen, aber so, dass seine Schwieger-
tochter es nicht mitbekam. Einmal hatte sie ihn nämlich beim „Leihen“ erwischt und mit ihrer lauten
Stimmesosehrangeschrien,dassderalteMannzuweinenbegannundfürdienächstenTageseineKam-
mer nicht mehr verließ, so groß war seine Angst, sie könnte ihn schlagen.
An einem sehr heißen Sommertag während der Ferien spielte ich wieder einmal mit meinen Freunden,
demHuberka-FranzunddemMiskowitsch-Heinz, dermitseinerMutternurzurSommerfrischeimDorf
war,undirgendwannwusstenwirnichtmehr,waswirunternehmensollten.EsfielunskeinrechtesSpiel
ein. Heute wollten wir keine Kröten aufblasen, nicht heimlich die Türen von Schweineställen öffnen
oder Papierknödel in Auspuffrohre stopfen und auch eine Fahrradfahrt war nicht drin. Wir beschlossen,
stattdessen den Dachboden unseres Hauses zu erkunden, meinen geheimen Treffpunkt mit Emma, von
dem meine Freunde aber nichts wussten, und entdeckten dort eine alte Holzkiste. Drinnen fanden wir
einen dicken ledernen Militärmantel, breite Ledergürtel und Brillen mit Metallfassungen, die man an le-
dernen Ohrenkapuzen befestigen konnte, wie sie die Kampfpiloten bei ihren Einsätzen im Krieg benutzt
hatten. Franz zog zudem einige zylindrische Blechdosen aus der Kiste, die graugrün und gerillt waren.
WiröffnetensieundfandendarinGasmasken.HeinzhattedieIdee,sieaufzusetzenunddamitzumalten
Sandiger ins Haus zu gehen, um ihn zu erschrecken. Damit waren Franz und ich einverstanden.
AlsderfünfundachtzigjährigeManndiedreifroschähnlichenMaskenmitdengroßenrundenAugenund
dem vor dem Mund angeschraubten rüsselartigen Filter sah, bekam er panische Angst, bedeckte sein
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