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WuchtaufdieHandinnenflächeschlug,bisdierotenStriemenaufplatztenundbluteten,hattedieTochter
vonHerrnPrantnergeheiratet.GleichnachderkirchlichenTrauungtratendieNeuvermähltenihreHoch-
zeitsreise nach Venedig an. Für diese Reise hatte sein frischgebackener Schwiegervater dem Oberlehrer
Geld für einen neuen Kleinwagen gegeben. Dieses kleine viertürige französische Auto mit Heckmotor
war eine Sensation im Dorf.
Am Samstagabend sollten sie wieder von der Hochzeitsreise zurückkommen. Ein Ereignis, das nicht
nur auf den Bänken der Alten vor den Häusern, wo man sich die neuen und alten Neuigkeiten Abend
für Abend wiedererzählte, für reichlich Gesprächsstoff sorgte. Beinahe alle Dorfbewohner, Kinder wie
Greise, standen vor dem Haus des Schwiegervaters und warteten seit Stunden auf die Ankunft. Obwohl
ich wusste, dass zwar der Herr Lehrer im Auto saß, wir aber Ferien hatten und ich erst in drei Wochen
wieder zur Schule musste, hatte ich im Innersten meiner Seele Angst, ihn zu sehen, wiewohl ich im Ge-
heimen auch hoffte, dass er jetzt, nach der schönen Reise und mit der schönen Frau, vielleicht ja milder
werden und nicht mehr so oft schlagen würde. Vielleicht nur noch für jeden zweiten Fehler einen Ru-
tenschlag auf die Handinnenfläche, dann werden die Striemen nicht so schnell aufplatzen und es wird
nicht so stark schmerzen und nicht bluten; auch vor den anderen Buben und vor all den vielen Mädchen
müsste ich mich nicht mehr meiner Tränen so schämen.
DiezwanzigoderdreißigLeutewurdenallmählichungeduldig,undumsoungeduldiger,jespätereswur-
de. Jeder wusste es besser, aus welcher Richtung sie kommen würden. Der eine sagte, sie kommen auf
der unteren Straße, und der andere sagte, nein, nein, sie werden die obere Straße, über Gettsdorf, neh-
men. Der dumpfe, dümmliche Schickler-Ferdl meinte, dass sie mit dem neuen Auto einen Unfall gehabt
hätten, jedenfalls habe er gehört, wie es jemand, er wisse nicht mehr wer, erzählt habe. Das sorgte für
GemurmelunterdenumstehendenWartenden.DeraltePrantner,vondemdieLeuteheimlichtuschelten,
er sei ein Nazi gewesen, und seine Frau waren im Haus und hatten ein besonders feines Abendessen für
die jungen Leute vorbereitet. Mit dem Wort „Nazi“ konnte ich damals nicht viel anfangen, dachte aber,
weilesdieAltennurhintervorgehaltenerHandaussprachen,dasssichgewissetwasBösesdahinterver-
berge.
Der alte Prantner war vor längerer Zeit Schriftführer des inzwischen verstorbenen Bürgermeisters Ei-
senberger gewesen. Seit der Zeit schritt er, obwohl schon lange außer Dienst, jeden Samstag mit Anzug
und Krawatte die dreihundert Meter lange Dorfstraße entlang. Sein gerader, aufrechter Gang ließ ihn
noch größer erscheinen, als er ohnedies war. Wenn er bei seinem samstäglichen Spaziergang durch das
Dorf einen Bauern traf, zog er den Hut und nickte ihm mit einer gewissen Überheblichkeit zu, die zu
verstehen gab: Ich bin mehr, besser und gebildeter als du. Er und der Greißler Knötler, der etwa ein- bis
zweimal pro Woche mit nach links und rechts wegflatterndem Mantel auf seiner alten roten Zündapp
zwecks Wurst- und Schinkeneinkaufs zum Fleischhauer Speidler nach Ziersdorf fuhr, waren die Ein-
zigen im Dorf, die manchmal auch unter der Woche Anzug und Krawatte trugen. Meist waren es alte
abgetragene, zum Teil verschlissene Anzüge, aber sie erfüllten doch den von ihren Trägern gewünsch-
ten Zweck, sich mit ihrer Kleidung von den übrigen Dorfbewohnern absetzen zu wollen. Herr Knötler
trug zudem übrigens auch eine Taschenuhr mit einer goldenen Kette daran, die er am vorletzten unteren
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