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meinKämmerchenkommenwürde,woichschutzlosaufdemunbezogenenDiwanlagundeinfachnicht
einschlafen konnte? Erst am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass es der sich im pfeifenden Wind
hin und her drehende Wetterhahn auf dem Dach des alten und schon stark baufälligen Hauses gewesen
war, was mir die angstvolle Nacht bereitet hatte.
Wenn Großmutter ihrerseits in unser Hundertseelendorf zu Besuch kam, brachte sie immer etwas mit,
und ich freute mich auf die Süßigkeiten, die es dann gab. Kleine Tafeln Bensdorp-Schokolade beispiels-
weise, in blaues Papier gehüllt, mit einem oval ausgeschnittenen Fenster, unter dem das Bild eines be-
kannten Filmschauspielers steckte; Tütchen vonHaas-Brausepulver mit Himbeer-,Orangen- oder Zitro-
nengeschmack,aufdenenverschiedeneAutotypenabgebildetwaren,etwajeneamerikanischenStraßen-
kreuzer, die ich dem Peterka-Emil so gerne hätte zeigen wollen; und rechteckige Kaugummis, einge-
packt in glänzendes, steifes Papier, auf dem Bilder von Hollywoodstars wie Audrey Hepburn, Marilyn
Monroe,SophiaLoren,GregoryPeckundvielenanderenprangten.IchhatteeineschöneSammlungvon
Filmschauspielerbildern und Fotos von allen Autos dieser Welt.
Einige Jahre später, da war ich bereits gefirmt und hatte aufgehört, Bilder von Schauspielern und Au-
tomodellen zu sammeln, starb Großmutter nach kurzer, schmerzloser Krankheit friedlich mit einem Lä-
cheln um den Mund. Sie wurde in der kleinen Kapelle neben der Dorfkirche in Petronell aufgebahrt.
MeineMutterhattederTotenihreinzigesschwarzesKleidangezogen.WirmusstendemPfarrerhundert
Schilling extra geben, sonst hätte er sie nicht eingesegnet, da sie aus der Kirche ausgetreten war. Zu
diesem damals noch sehr ungewöhnlichen Schritt hatte sie sich entschlossen, nachdem der Pfarrer be-
hauptet hatte, ihr welsangelnder Mann hätte in Wirklichkeit in der Donau Selbstmord begangen - und
Selbstmörder bekommen keinen katholischen Segen. Hundert Schilling war viel Geld, doch meine Mut-
ter, obgleich selbst wenig gottgläubig, hätte es nicht ertragen, dass sich die Schande einer ungeweihten
Beerdigung herumsprach und sich in ganz Petronell und darüber hinaus verbreitete.
Die letzte Mahlzeit in dem kleinen Haus war der Leichenschmaus. Es gab Wurstaufschnitt vom Fleisch-
hacker Krautmeier und Wein vom Nachbarn. Karl kam nicht zum Begräbnis, er war zu betrunken. Kurz
danach stürzte das alte Haus zusammen.
Sie wusch und bügelte alle drei Tage sein Hemd
Der Peterka-Emil, der zweitälteste der drei Peterkasöhne, war mittlerweile schon zweiunddreißig Jahre
alt, hatte aber immer noch keine Braut und keinen eigenen Hof. Und das, obwohl er als Einziger in un-
serem langgestreckten Hundertseelendorf einen Traktor besaß und zumindest ich den Mädchen nie von
seinem falschen Gebiss im Oberkiefer erzählt hatte - auch nachdem es mit unserer speziellen, vertrau-
ensvollen Freundschaft zu Ende war und er meine Autobilder aus den Brausepulversackerln der Groß-
mutter aus Petronell nun nicht mehr sehen wollte.
Schließlich schien sich doch jemand zu finden. Die Pippinger-Maria sollte es sein. Sie solle er heiraten,
hatteseinVatergesagt -obgleichsieumzehnJahreälterwaralser.DochsiehatteeinekleineWirtschaft
als Erbe in Aussicht. Emil beschloss also, ihr einen Antrag zu machen. In letzter Zeit hatte die brünette,
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